Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 830
Text
»Na, hast du dir schon das Publicum angesehen?« fragte ich.
»Ja, hast du das hübsche junge Mädchen bemerkt? Fräulein Dahl,
heisst sie, Alma Dahl.»
»War das die, die eben angeln ging?«
»Jawohl. Ist sie nicht nett?«
»Ja, das ist sie in der That.«
In demselben Augenblick kam sie, gefolgt von ihrem Cavalier,
mit ihrer Angelstange zurück. Frau L. ging zu ihr hin; sie hatten
schon früher mit einander gesprochen.
»Na, haben sie schon geangelt?«
»Ja, ich stand eine Weile mit meiner Stange unterhalb des Wasser-
falls, aber ich bekam nichts.«
Sie sagte das so naiv, augenscheinlich gereizt über die Geduld,
die dazu gehört, um Fische zu angeln. Ihr Cavalier stand neben ihr
und blickte sie halb beschützend, halb unverschämt an.
Später kam sie wieder auf den Hof hinaus. Sie hatte den Regen-
mantel ausgezogen und trug eine hellblaue Blouse, die sie vorzüglich
kleidete. Sowohl die Blouse als das lange Kleid sahen ganz neu aus;
überhaupt machte Alles, was sie anhatte, den Eindruck von etwas
gerade Gekauftem, und als wenn es ihr Vergnügen bereitete, es anzu-
haben. Aber sie stand gleichsam ein wenig hilflos allein in der Schaar,
als wenn sie nicht daran gewöhnt wäre, und liess ihre dunkelblauen
Kinderaugen mit den langen schwarzen Wimpern suchend zwischen all
den Fremden umhergleiten. Eine Weile später entdeckte ich, dass sie
mich mit neugierig interessirtem Gesicht anstarrte, und ich sah, dass
sie Frau L., die neben ihr stand, etwas nach mir fragte. Ich ging zu
ihnen hin. Frau L. stellte vor.
Da sagte sie mit weicher, angenehm gedämpfter Stimme:
»Ich habe Sie schon früher gesehen.«
Sie sagte das, wie wenn Kinder einem Fremden auf den Schooss
springen und sagen: »Ich habe dich schon früher gesehen; auf der
Strasse!«
»Sie haben mich schon gesehen?« erwiderte ich, »Ich kann mich
nicht entsinnen, Sie schon gesprochen zu haben.«
»Nein, ich habe Sie nur auf einem Bilde gesehen; aber ich er-
kannte Sie sogleich wieder.«
Und sie begann von einem Gemälde zu erzählen, bei dem ich
in der That zu einer Figur Modell gesessen hatte.
»Aber ich bin ja nur von der Rückseite gemalt?«
»Ja, aber ich kannte Sie doch sogleich an der Kopfform und
dem Haar wieder.«
Sie schien in Künstlerkreisen ein wenig bekannt zu sein. Ob sie
eine Art Künstlerin war? Ich fragte. Ja, sie hätte sich als Schau-
spielerin versucht, aber — es kam ein wenig zögernd — sie hätte so
geringes Honorar bekommen. Jetzt nähte sie Handschuhe; aber dann
wäre sie im Frühjahr so gefährlich erkrankt, so dass sie nicht mehr
arbeiten konnte. Daher müsste sie auf die Berge, hätte der Doctor
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 830, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-22_n0830.html)