Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 856

Zum Umbau Wiens (Schmidkunz, Dr. Hans)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 856

Text

ZUM UMBAU WIENS.
Von Dr. Hans Schmidkunz (München).

Es mag vermessen scheinen, aus der Ferne und vielleicht mit
Unkenntnissen über einige Einzelheiten der letzten Zeit, die anscheinend
rein localen Fragen des Umbaues einer noch dazu recht individuell
beschaffenen Grossstadt zu betrachten. Allein andrerseits hat dieser
Blick aus der Ferne doch wieder seine Vorzüge, die den mangelnden
Einblick ins Kleine wettmachen können. Vor Allem dürfte es ja den
Wiener schon interessiren, ob man, und wie man draussen, vielleicht in
ähnlichen Verhältnissen, über seine städtischen Fragen denkt, und
welche Analogien man ihm von anderswoher entgegenhalten kann, ganz
abgesehen davon, dass die Stimme aus der Ferne wenigstens über dem
Getriebe von Parteien und Personen zu stehen vermag.

Der Wiener ahnt vielleicht nicht, wie lebhaften Antheil die bau-
lichen Geschicke seiner Stadt überall dort finden, wo man sich näher
um den Städtebau kümmert. Seit der berühmten Umgestaltung von
Paris durch Haussmann in den Fünfzigerjahren ist die »äussere«
und »innere« Stadterweiterung Wiens vielleicht die grossartigste und
denk- wie kritikwürdigste Angelegenheit auf diesem ganzen Gebiete.
Mit den Jahren 1858 und 1859 begann die Geschichte von Neu-Wien.
Die »Basteien« fielen, die Ringstrasse erstand, die Concurrenzentwürfe
zur Stadterweiterung kamen und gingen, der eigene, wenigstens ziem-
lich einheitliche und ungestörte Plan der Beauftragten blieb. Seit 1871
waltete hier Gottfried Semper’s Genius; sein Tod, 1879, war wohl ein
Unglück für Wiens städtische Kunst, allein seine Schöpfungen, zumal
die Museen, die neue Burg und die Gruppirung dieser Bauten sammt
dem was dazu gehört, haben der Stadt ein hoffentlich unverlierbares
künstlerisches Capital gegeben. Die Siebziger- und Achtzigerjahre sind
durch die Ausführung der grossartigen Neubauten kunstgeschichtlich
berühmt, auch wenn es sich dabei nur um den »Ringstrassenstyl«
handelt. Im Jahre 1889 wurde Neu-Wien durch Gross-Wien fort-
gesetzt.

Die Neunzigerjahre brachten die Fragen der »inneren« Stadt-
erweiterung im engsten Sinn in Fluss. Die drückenden Spannungen
der altstädtischen Enge verlangten nach befreienden Lösungen. Anfangs
1894 abermals das Kommen und Gehen von Concurrenzentwürfen und
als abermaliges Ergebniss ein bauamtlicher Plan. Seit 1895 (oder Ende
1894
) hat nun Wien ein eigenes Stadterweiterungsbureau, und zwar
unter Professor Carl Mayreder. Unseres Wissens existirt ausser dem
1893 eingerichteten gleichen Bureau in München (unter Theodor

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 856, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-22_n0856.html)