Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 857

Zum Umbau Wiens (Schmidkunz, Dr. Hans)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 857

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ZUM UMBAU WIENS. 857

Fischer) überhaupt nur dieses, und zwar mit einer grösseren Selbst-
ständigkeit gegenüber dem sonstigen Stadtbauamt als in München;
doch soll jetzt auch in Frankfurt am Main ein solches nach Münchener
Vorbild eingerichtet werden.

Der Plan dieses Wiener Stadterweiterungsbureaus, oder kurz Pro-
fessor Mayreder’s, geht trotz neuerlicher Schwierigkeiten seiner Ver-
wirklichung entgegen. Die Thränen, die über den Tod des Kinder-
parkes geflossen sind, die Wehmuth über den baldigen Tod der mo-
numentalen Wien-Brücken zu Gunsten der Stadtbahn und »Wienzeile«
und über die dem Anblick der herrlichen Carlskirche drohenden Ge-
fahren, die Proteste vieler Künstler gegen diese und andere Regulirungen
der inneren Stadt — all diese Wiener Schmerzen haben auch anderswo
nachgeklungen. Wenn aber in anderen Städten, z. B. in München, die
Künstlerschaft in stetem, wenn auch stillem Kampf gegen stadtbau-
amtliche Hemmungen und gegen die noch nicht aufgeklärte, öffentliche
Meinung über diese Dinge lebt, so hat sie namentlich Eine scharfe,
wenngleich bisher nicht sehr erfolgreiche Waffe in diesem Kampf, und
diese Waffe kam ihr gerade aus Wien. Es sind dies die Aufklärungen,
die Regierungsrath Camillo Sitte über die Grundsätze eines künst-
lerischen, wenigstens eines durch die Erfahrungen der Kunstgeschichte
bestimmten Städtebaus gegeben hat; sein Buch »Der Städtebau nach
seinen künstlerischen Grundsätzen« u. s. w. (Wien, C. Graeser, 1889
— ein zweiter, rein praktischer Band soll folgen) ist das classische
Werk für die neue Bewegung gegen das Verfehlte der bisherigen Stadt-
baukunst geworden. Professor Carl Henrici in Aachen hat in seinem
preisgekrönten und natürlich wieder dahingegangenen Concurrenzent-
wurf für München (veröffentlicht ebenda, L. Werner, 1893) gezeigt,
welche Anwendung von diesen Grundsätzen im Anschluss an die je-
weils gegebenen besonderen Bedingungen zu machen sind, und wird
nicht müde, in Wort und Schrift immer wieder für sie einzustehen.

Natürlich hilft alles Sprechen und Schreiben, alles begeisterte
Projectiren und aller Verbrauch von Pauspapier, das, über die alten
Stadtpläne gebreitet, die stürmischen Striche unserer Architekten er-
tragen muss, nicht viel. Stärker ist die Macht des »grünen Tisches«,
aber noch stärker als dieser, ist die Macht der Verkehrsansprüche
und der einmal gegebenen historischen Thatsachen. Diese oberste Macht
ist denn auch in den für Wien angenommenen Entwürfen zu spüren.
Sie wollen Luft in die Enge der Altstadt bringen und doch das
Historische möglichst schonen. Noch mehr: sie zeigen sich von der
sonst schwächsten Macht, den künstlerischen Einsichten in die Er-
fordernisse des Städtebaues, nicht ganz unberührt. Dementsprechend
ist auch der Widerstand, auf den sie stiessen, ihnen selber ähnlich:
halb so, halb so.

Die Hauptsache in dem amtlichen Plane ist eine Lüftung der
inneren Stadt vermittelst neuer oder neu regulirter »Durchzugstrassen«:
sechs in ungefähr südnördlicher, fünf in ungefähr ostwestlicher Richtung
(falls uns nicht ein kleiner Irrthum über die Zahlen unterlaufen ist).

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 857, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-22_n0857.html)