Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 858

Zum Umbau Wiens (Schmidkunz, Dr. Hans)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 858

Text

858 SCHMIDKUNZ.

Unter den südnördlichen dominirt wohl der durch Kärntnerstrasse
und Rothenthurmstrasse gebildete Durchzug; seine projectirte Breite
(wenigstens für die Kärntnerstrasse) beträgt 19 Meter, d. i. um 4 Meter
mehr als die Breite der Lastenstrasse und ein Drittel von der Gesammt-
breite der Ringstrasse. Für öffentliche Plätze soll noch besonders gesorgt
werden, und die Regulirung eines hauptsächlichen Schmerzenskindes,
des Stubenviertels, bildet einen der wichtigsten Punkte des ganzen
Plans. Die Anlagen über den Wienfluss haben wir schon oben markirt.

Gegen diesen gesammten Entwurf und gegen Einzelheiten von
ihm haben nun hervorragende Stimmen laut und wohl die meisten
irgendwie berufenen Stimmen leise Stellung genommen; darunter auch
Carl v. Lützow nicht lang vor seinem Tod. Eine einheitliche
Opposition besteht kaum, am ehesten noch gegenüber der Gefährdung
des Anblicks der Carlskirche. Einer besondern Erörterung werth
erscheinen uns einige Bedenken Lützow’s. Er findet die projectirte
Breite jener Durchzugstrassen, nämlich 14—19 Meter, im Ganzen ge-
nommen völlig ungenügend. Das ist nun einer der Punkte, in denen
die landläufigen Ansichten am schwersten zu klären sind. Wir können
uns hier in keine vergleichende Naturgeschichte städtischer Strassen
einlassen, wohl aber alle Betheiligten versichern, dass eine solche ganz
andere Ergebnisse hat, als man zunächst vermuthet. In London, einer
Stadt, deren Verkehrsgetöse von Wien auf absehbare Zeit kaum erreicht
werden wird, dürfte keine Strasse der City jene 19 Meter beträchtlich
überschreiten. Nun sind aber unsre amtlichen Strassenschöpfungen
Parallelstrassen, von denen eine der anderen den Verkehr erleichtern
soll; sie dürfen also enger sein als solche Hauptstrahlen des Verkehrs,
die Alles allein tragen sollen und die wir gleich später kennen lernen
werden. Jedes Mehr an Strassenbreite aber, das nicht unbedingt nöthig
ist, wird besser vermieden; dieses Ergebniss einer näheren Betrachtung
möge man uns hier eben hinnehmen. Kurz: wir halten jene Breiten
von 14—19 Meter unter den gegebenen Umständen und Schonungs-
pflichten für genügend.

Zugleich wurde jenen Strassenprojecten ihre beabsichtigte Krümmung
vorgeworfen und dagegen wieder das Ideal der geraden Stadtstrasse
ausgespielt. Das ist nun abermals eines der am schwersten zu über-
windenden Ideale der öffentlichen Meinung, sowie selbst noch mancher
Künstler und Kunstkenner. Auch hier können wir auf Gegenbeweise
am passenden Ort nur eben verweisen; erwähnt sei aber, dass
wenigstens in München endlich doch die Grundsätze eines künstlerischen
Städtebaues so weit durchzudringen beginnen, dass man jetzt einige
mässig krumme Strassen (nicht etwa mit geometrischen Kreis- und
ähnlichen Formen) und einige analoge Freiheiten im Platz- und Monu-
mentalbau gestattet hat.

Der Punkt aber, in welchem die Opposition gegen die amtlichen
Entwürfe am meisten Recht haben dürfte, ist der Vorwurf einer Klein-
lichkeit, welche die grossen Verkehrsbedürfnisse immer noch unbefriedigt
lässt, und der Gegengedanke, bequeme Verbindungen zwischen der

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 858, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-22_n0858.html)