Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 871

Arnold Böcklin (Kromer, Heinrich Ernst)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 871

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ARNOLD BÖCKLIN. 871

scheinen zu lassen. Im Mittelsaal vollends, dicht neben jenen Ver-
suchen, hängen, um nur die wichtigsten Namen zu nennen: »Spiel der
Najaden«, »Venus genitrix« (Triptychon), »Sorge und Armuth«, »Pietà«,
»Vita somnium breve«, »Prometheus«, »Flora«, »Hochzeitsreise«, »Sieh,
es lacht die Au«, »Heimkehr«, »Polyphem und Odysseus«, »Fischende
Pane«, »Susanna im Bade«, zwei Selbstporträts und das Bildniss von
Frau Böcklin; im Ganzen Werke aus den letzten zwei Jahrzehnten,
während der erste Saal solche vom Ende der Fünfziger- bis Ende der
Sechzigerjahre enthält: den düsteren Gothenzug, so gewaltig, wie keine
Historienmalerei uns ein Bild jener Zeit gibt, einen büssenden
Anachoreten, ein herrliches Weinbild »Est est«, eine Villa am Meer,
so farbig, dass die beiden gleichen der Schack-Galerie ganz bleigrau
dagegen erscheinen, die ganz tizianische Venus mit Amor, das er-
greifende Lied vom Heimweh »Odysseus und Kalypso«, »Die Heilige
Muse« (μοῦσα σεμνή) und die sehr sinnenfrohe »Muse des Anakreon«,
den weihevollen »Heiligen Hain« (Feuerpriesterinnen), eine Flora, eine
Venus Anadyomene (beide lebensgross), die von Piraten überfallene
Burg im Meer, den elementaren Centaurenkampf, humorvolle Faun- und
Nymphenbilder und eine barocke »Idylle am Meer«.

Diese an sich wenigen Namen zeigen gleichwohl die ganze Be-
deutung Böcklin’s und den weiten Umfang seines Schaffens, bei dem
eigentlich kein Stoffgebiet ausgeschlossen ist, es wäre denn das Genre
(gewöhnlichster Art!); dieses nämlich hebt er, wo er es überhaupt
berührt, immer ins Typische, ins Symbolische, ins Allgemein-Mensch-
liche herauf: »Die Hochzeitsreise« z. B. und »Die Heimkehr«. Historie,
Fabel, christliche Legende und christliches Drama, grosses Epos
(»Piratenüberfall«), Lyrik, Hymnus (»Frühlingsbilder«, »Heiliger Hain«),
Allegorie, Mythologie, Liebes- und Weinlied, Volkslied (»Heimkehr«
nach dem Gedicht »In einem kühlen Grunde«) — sie alle sind be-
handelt, sogar — das Porträt

Sogar das Porträt.

In seiner Stellung nämlich zum Porträt als solchem gibt Böcklin
gleichsam einen Massstab für die Höhe und Weite dessen, was er
unter einem Kunstwerk versteht. Er lässt das Bildniss nicht als Kunst-
werk gelten — wie viele Meister er mit dieser Werthung auch gegen
sich hat. Zweifellos, weil er im Porträt Stimmung, Handlung, Poesie
— den Grundgehalt seines Schaffens, die Grundforderung höherer
Kunst, wie er sie versteht — vermissen muss. Das Bildniss ist ihm
blosse Nachahmung des Modells, d. h. der Natur; es ist ihm der
»Einzelfall«, der für ihn keine Bedeutung im Verhältniss zum Ganzen
hat; es ist ihm die »Person«, nicht der »Mensch«; das Sichüberheben
des Einzelnen über das: Ganze, über die Natur, das an sich so un-
bescheiden, wie im tieferen Grunde unmöglich ist; eine Art Selbst-
monotheisirung des Menschen, die ihm, dem Pantheisten, gegen den
Geschmack gehen mag. Schon in seiner Weimarer Zeit hat er mit
Lenbach diese Frage durchgestritten und Jenen (wie dieser selbst er-
zählt) auf Irrwege, d. h. von seiner Grundbegabung und -Bestimmung

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 871, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-23_n0871.html)