Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 872

Arnold Böcklin (Kromer, Heinrich Ernst)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 872

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872 KROMER.

abgetrieben. Wollte Böcklin mindestens Symbolik im Porträt, so ver-
langte Lenbach einzig Charakteristik, Persönlichkeit, Individualität.
Dazu braucht er den neutralen Hintergrund, auf welchem jede Form,
jede Linie, jede Farbe Bedeutung bekommt; auf nicht neutralem Grund,
also in der farbigen Landschaft, kann der Kopf des Porträtirten nur
den Werth eines Farbflecks haben, der der ganzen Stimmung harmonisch
eingeordnet werden muss, mag er dabei auch die Führung behalten.
Lenbach macht damit ein C’est moi, eine Wichtigkeit aus dem Ein-
zelnen, Böcklin aus dem Einzelnen eine verhältnissmässige Unwichtig-
keit, eine Bescheidung, aus dem Ganzen dagegen eine Bedeutsamkeit,
auf das Ganze einen Hymnus. Zweifellos hat dabei Jeder nur seine
Hauptbegabung vertheidigt und eine Domäne daraus gemacht; die
Technik kann bei dieser Werthung nicht in Anschlag gebracht werden;
sie wird als nöthiges Erforderniss des Künstlers behandelt, als Sache
des Handwerks, die überwunden werden muss; die Anschauung bleibt
Alles; Böcklin aber vertheidigt das Umfassendere, Lenbach das Be-
schränktere; und sicher ist, dass, neben jenen gehalten, dieser fast als
Specialist erscheint

Dass er gleichwohl Porträts schuf, entsprang wohl seinem Zug
zur Universalität, tiefer genommen: seiner Lust an der Erschei-
nung; indess wirkt sein Drang zum Typischen auch beim Porträt
durch. Das Bildniss z. B. seiner Frau erhält durch das antike Gewand
und den Lorbeer eine weitere Bedeutung, denn als blosses persönli-
ches Porträt; auch seine Selbstporträts sind in Handlung oder in
Stimmung gegeben. Zugleich steigerte er aber durch das Porträt auch
seine übrigen Stoffgebiete um einige Noten im Werth, gleichsam — und
vielleicht mit Absicht, sicherlich aber instinctiv — durch Contrast, ein
Wirkungsmittel, mit welchem er in Technik, Linie und Farbe so meister-
haft umgeht.

Schon nimmer als Porträt wirkt sein Selbstbildniss mit dem
fiedelnden Tod; es ist ein Kunstwerk höherer Bedeutung und eines der
tiefsten aller Zeiten. Böcklin in der Reife der Jahre, den farbgefüllten
Pinsel und die reiche Palette in der Hand, lauscht aufmerksam und
sinnend dem Lied, das ihm der Tod hohnlachend auf der letzten
Saite seiner Geige aufspielt. Das Auge des Künstlers ist durchgeistigt;
es schaut in dem grausigen Augenblick Bilder und Visionen, die es
das Herz zu schaffen und festzuhalten drängt; es schaut sie mit un-
geheurer Ruhe und Zuversicht, mit stiller Verachtung des so nahen
Todes. Es scheint voll sicheren Vertrauens zu sagen, der Knochen-
mann komme noch zu früh, und wenn nicht zu früh, so doch ver-
geblich im Hinblick auf das, was der Künstler Unsterbliches schuf
und was er noch schaffen wird, bevor dem Tod auch noch die letzte
Saite reisst. — Wo ist in Einem Werke gleicher Schauder und gleiche
Ruhe, gleiche stille Todes- wie Lebensverachtung, gleiches Kraftver-
trauen und gleiche Schaffenslust, wo — im Ganzen — gleiche Ironie
geschildert? Wie christlich, wie sehr als ewiges Memento mori wirken
nicht dagegen die Porträts mit dem Tode aus den deutschen Schulen

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 872, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-23_n0872.html)