Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 879

Josef Kainz im Burgtheater (Schik, F.)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 879

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JOSEF KAINZ IM BURGTHEATER. 879

Je weniger ein Schauspieler Behelfe nöthig hat, um verstanden zu
werden, desto grösser sein Talent. Zacconi muss jeden Moment einer
Bühnenfigur in schwerer Arbeit fixiren, sonst würde uns sofort etwas
fehlen, eine Lücke klaffen; er vermag nicht derart zu potenziren,
dass die Phantasie der Zuschauer auch ohne ihn weiter arbeitet. Aber
nie wird das Publicum ermüdeter, als wenn man ihm alle Arbeit abnimmt.
Kainz dagegen ist ein befreiender Schauspieler, sparsam in der Aus-
führung und reich in der Anregung. Er zeigt bloss den Weg und lässt
uns bis zur nächsten Wendung allein; dann ist er mit einem Satze
wieder vor uns. Er gängelt nicht auch dort, wo wir uns selber zurecht
finden. Er stellt immer wirkliche Menschen dar, lässt aber auch die
Zuschauer solche sein. Zacconi macht uns zu Unmündigen, die vor einem
Taschenspieler sitzen. Kainz nahm bei seinem ersten Auftreten
sofort derart für sich ein, dass wir uns das Burgtheater ohne ihn nicht
mehr denken mögen.

Freilich wird das Repertoire und der Personalstand dieses Theaters
einer gründlichen künstlerischen Revision unterzogen werden müssen,
wenn ein erspriessliches Zusammenwirken mit einem Schauspieler, der
sich auf ganz anderen Grundlagen entwickelt hat, möglich sein soll.
Schon durch die Wahl seiner Antritts- keineswegs der Hauptrolle in
»Galeotto« hat Kainz deutlich zu erkennen gegeben, dass es ihm ferne
liegt, ein Star sein zu wollen, dass er seine Collegen nicht als blosse
Stichwortbringer zu betrachten wünscht. Zu verhindern, dass dieser
Missstand eintritt, liegt aber nicht in seiner Macht, sobald man mit
seinem Engagement genug gethan zu haben vermeint, sonst aber Alles
beim Alten belässt, wie es auch nach der Wiedergewinnung Mitter-
wurzer’s der Fall gewesen ist. Und dieser Schauspieler hatte noch
Zusammenhänge mit der alten Tradition des Burgtheaters, in der er
ja aufgewachsen war. Erst in einem Alter, in dem jetzt Kainz steht,
verliess Mitterwurzer Wien, um in der Fremde seinen hiesigen Col-
legen rasch über den Kopf zu wachsen. Er kam dann vor wenigen
Jahren nicht als ein völlig Veränderter, sondern nur als ein mehr ins
Moderne Entwickelter zurück. Er war ein Uebergangsschauspieler.
Ganz anders Kainz. Von diesem kann man sagen, dass er am ersten
Tage der modernen Darstellungsrevolution geboren wurde. Er hat
keine alten Blutstropfen in sich, die Mitterwurzer fort und fort noch
zu Benedix und ähnlichen altväterischen Bühnenschriftstellern drängten.
Je antiquirter ein Stück war, desto moderner erschien die Kunst Mitter-
wurzer’s, während er vor hochmodernen Rollen einen förmlichen
Abscheu hatte und darin auch, wie sein Almers in »Klein-Eyolf«
bewies, Unzulängliches leistete. Seine Bühnenjugend enthielt keinen
neuzeitlichen Ton. Hiefür war sein Spürsinn erschöpft. Dass wir
ihn verloren haben, ist auch deshalb tief zu bedauern, weil er der
modernste Darsteller für Väterrollen geworden wäre: als Wallenstein
und König Philipp hat er sich glänzend erprobt. Dieses Rollenfach
muss nun auf viele Jahre hinaus künstlerisch verwaist bleiben, so
lange, bis die erste moderne Generation grau zu werden beginnt.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 879, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-23_n0879.html)