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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 887

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KÖNIGE. 887

die sich selbst genug thun und grossen leitenden Einfluss auf die
Massen nehmen. Sie fehlen in der Politik, in der Wissenschaft, in der
Kunst. Es mag ja manche Kraft vorhanden sein, manches schöne
Talent — aber führende Geister sind es nicht.

In der Kunst ist vielleicht Hanns Makart der letzte Führende
gewesen. Ein Mensch, der noch Stil in sich hatte. Wie ein böser Zauber
erscheint es, dass gerade die Werke dieses grossen Letzten so rasch die
Zerstörung ihrer leuchtenden Farbenpracht erleiden müssen. Und
sollten sie uns auch ganz verloren gehen — Makart hat etwas Grösseres
geschaffen als Bilder, die wohlerhalten in den Galerien hängen. Sein
Festzug war eine Culturthat. Er hat durch ihn zu den grossen Massen
gesprochen, hat in Tausende eine Ahnung von Schönheit und Schön-
heitsfreude gepflanzt. Seine Liebe für Prunk und leuchtende Farbe gab
dem Volke, dem grossen Kinde, das, was es am meisten liebt: ein
zum Leben erwecktes Märchen mit all seinem strahlenden Schimmer.

In seinem künstlerischen Empfinden stand er den Massen viel
näher als Männer wie Jacob Emil Schindler, Johannes Brahms. Die
waren nicht berufen, auf die grosse Menge reformatorisch zu wirken:
sie gehören nicht in das Getriebe der weiten Ebene: durch einsame
Thäler, über unwegsame Gebirgspfade muss sich der Wanderer zu
ihnen hinaufschwingen, um auf ihrer weltabgeschiedenen Höhe in stiller
Andacht zu erschauern.

Was uns Wienern fehlt, was alles zu erwünschen wäre, zog mir
wieder einmal durch den Sinn, als ich unlängst kurze Zeit in München ver-
brachte. Es weht über die bayrische Hochebene frisch und kräftig; und
die kernigen Bajuvaren saugen die frische Luft ein in vollen Zügen.
Sie erstarken auch zu vollerem Menschenthum.

Der Münchener ist kräftiger, individueller als der Wiener, hat
decidirtere politische Meinung, weitere Kreise sind empfänglich für
Kunst und Schönheit. München öffnet den Künsten seine Thore, und
Schaffende und Schauende ziehen herein in hellen Schaaren. Und so
mancher Mann weilte oder weilt noch dort, »qui est quelqu’un«, wie
die Franzosen sagen, der Muth und Kraft hat, sich auszuleben und
von seinem Reichthum noch viel erübrigt für die Anderen.

Ein solcher Mann war König Ludwig I. Er erwacht zum Leben,
wenn wir durch die Münchener Strassen wandern und die herrlichen
Bauten bewundern, die er erstehen liess. Eine seiner liebsten Schöpfungen
ist mir stets die Basilika geblieben. Aus diesem Bauwerk suche
ich mir immer den König mit allen seinen Charaktereigenthümlichkeiten
vor die Seele zu zaubern. Die Kirche muss auch ihm besonders lieb
und werth gewesen sein; bestimmte er sie doch zu seiner letzten
Ruhestätte.

Auch uns Lebende, Moderne, so müde Strebende, so kraftlos
Ringende grüsst die altchristliche Basilika, sie zeigt uns die Ruhe, die
Kraft, das sichere Wollen. Ruhe und Harmonie spricht aus den mäch-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 887, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-23_n0887.html)