Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 888
Könige. Münchener Stimmungen (Robitsek, Vilma)
Text
tigen Säulenreihen, die so stolz und frei ihre Lasten tragen, wirklich
stützen und tragen, so wie das schön gegliederte Sparrenwerk wirklich
constructiven Zwecken dient; Alles wahr und echt, denn Harmonie
kann nur herrschen, wo Wahrheit ist. Doppelte Säulenreihen zu Seiten
des Mittelschiffes bilden eine würdige, ernste Strasse, die zum Hoch-
altar führt. Auch hier übt das Christliche seine mächtige Wirkung.
In seiner einfachen Grösse, seiner Selbstverständlichkeit wirkte es
mehr Wunder, hob es mehr schlichten Heroismus aus den Massen als
die spätere stolze katholische Kirche in all ihrer pomphaften Herr-
lichkeit, ihrem suggestiven Mysticismus.
Die halbkreisförmige Nische hinter dem Altar zieren Fresken auf
Goldgrund, Heilige zwischen Palmen. Sie mögen rührend einfache
Menschen gewesen sein in ihrem überzeugten, überzeugenden Kinder-
glauben. Und über ihnen schwebend das Bild des Erlösers, des Gott-
menschen, der ganz den Anderen lebte und starb, und der sich so
zu allererst genug gethan.
Die Seitenwände sind mit herrlichem Marmormosaik geschmückt,
ornamental, in grossen kräftigen Linien so recht zum Ganzen gestimmt
Auf dem Gebälk über der inneren Säulenreihe entwickelt sich die Lebens-
geschichte des heiligen Bonifacius, dem die Basilica geweiht ist. Ein
Bild fesselte mich lange. »Bonifacius fällt die Donarseiche.« Kraftvolle
Schläge führt er gegen blinden Aberglauben. Und wir wünschten, dass
er herniederstiege und auch in unseren Tagen stritte und kämpfte. Es
gibt gar Vieles zu fällen!
Das Knarren der schweren Eichenpforte weckt mich aus meinen
Träumereien. Ein Mann schreitet zwischen den wuchtigen Säulen ein-
her, er selbst den Säulen gleich an machtvoller Gestalt. Gar fremd
und ungewöhnlich sieht er aus, wie er hocherhobenen Hauptes dahin-
wandelt, den grossen Schlapphut in der Hand. In die Kirche passt er
gut, es ist als wäre der Stimmungstraum wahr geworden, als wäre
Bonifacius herniedergestiegen, zu streiten und zu fällen.
Und ein Streiter ist er, Georg v. Vollmar, der Führer der süd-
deutschen Socialdemokraten. Der Aristokrat unter ihnen, Aristokrat
in der schönen, besten Bedeutung des Wortes. Ein Edelmensch voll
vornehmer Eigenart, der gewiss in erster Linie sich lebt, sich genug-
thut, der aber so viel blühende Kraft bereit hat für sein Volk. Ich sage
»sein Volk«, denn er ist ihr König im wahren Sinne. Er strebt und
kämpft und ringt für sie, unablässig. Er will ihnen die königlichsten
Gaben bringen: »Licht und Freiheit«.
Volkmar hiess sein Geschlecht in alten Zeiten und Mare waren
— Könige.
Aristokratie und Socialismus sind keine unüberbrückbaren Gegen-
sätee, nicht herab sollen die wahren Aristokraten, die ganze Mensch-
heit soll zu ihnen hinauf streben, immer veredelter, immer voll-
kommener, um endlich eine grosse aristokratische Gemeinschaft zu bilden.
Als Vollmar später auf der Plattform vor der Basilica stand, fuhr
ein Prinz aus königlichem Hause vorüber und — grüsste zuerst. Das
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 888, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-23_n0888.html)