Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 889
Könige. Münchener Stimmungen (Robitsek, Vilma)
Text
passte auch zum Stimmungstraum. Wollte die Zukunft ein Zeichen
geben?
Nicht weit von der Basilica entfernt erhebt sich ein Palast, die
Heimstätte eines anderen Königs, eines Königs im Reiche der Kunst,
Franz Lenbach’s. Eine starke Individualität, die immer ihren Weg
geradeaus fortgeschritten ist, unbekümmert um das Urtheil der Welt.
Und ist er darin vielleicht manchmal zu weit gegangen — Grosses
darf nicht mit gewöhnlichen Werthen gemessen werden.
Deutschland hat Lenbach Vieles zu verdanken, er hat dem Porträt
neue Bahnen gewiesen, die ausdruckslose Maske conventioneller Ver-
zopftheit der Vierzigerjahre besiegt. Die Menschen, die er gemalt,
athmen und fühlen, sie sprechen zu uns von ihren Leiden und Freuden,
von ihren guten und bösen Thaten. König Lenbach hat Schule gemacht,
hat im Münchner Kunstleben gewaltig gesprochen, und so Mancher,
der heute Tüchtiges schafft, wandelt die Wege, die der Meister in die
Wirrniss dieses Jahrhunderts hauen musste.
Die Thore seiner Werkstatt sind Jedem geöffnet, wir durch-
wandern Haus und Garten, Freitreppen und Atelier. Alles illustrirt
die Eigenart seines Schöpfers, Eigenart in jedem Sinne des Wortes.
Von eigener Art ist noch eine zweite Heimstätte der Kunst.
Diesmal nicht die Werkstatt eines schaffenden Künstlers, sondern ein
Tempel — der Schönheit von einem begeisterten Jünger errichtet: Die
Schack-Galerie.
Als Dichter ist Graf Schack nur in kleine Kreise gedrungen,
durch seine Galerie ist er populär geworden. In geniessender Freude
am Schönen, in unablässigem Suchen und Heben von verborgenen
Schätzen, in liebevollster Unterstützung strebender Talente hat er
seinen Tempel erbaut. Dann öffnete er die Thore, auf dass das Volk
hereinströme und in Freude und Andacht die herrlichen Werke ge-
niesse, die Meister wie Böcklin, Lenbach, Schwind, Spitzweg, Feuer-
bach, Defregger geschaffen. Das Streben des Grafen Schack war ziel-
bewusst. Ein ruhiges Fortschreiten, immer bemüht, sich und den
Menschen Freude zu erringen, so ganz anders als der wilde schmerz-
liche Sehnsuchtsschrei nach Schönheit, der den unglücklichen König
Ludwig II. sein ganzes Leben lang durchbebte.
Der grosse, schöne Mensch, der von den herrlichsten Idealen er-
füllt ins Leben getreten war und sich zu weit ins Traumland gewagt
hatte. Zu weit. — Für den armen Sterblichen gab es keine Rückkehr
mehr. Ein grosser Dichter war er, ein Stimmungszauberer, der seine
Dichtungen erleben wollte. Sonne, Mond und Sterne, Berg und Thal,
Wald und See mussten die Feste schmücken, die seine Seele feierte.
Die weite Landschaft und der hohe Himmelsraum darüber waren die
Coulissen seiner Lebensbühne. In prunkvollem Wagen, von feurigen
Rossen gezogen, fuhr er durch die Nacht, den steilen Bergweg flog er
hinan nach seinem Zauberschloss; den milden, mondschimmernden See
durchzog er im silbernen Nachen, und Schwäne begleiteten die Fahrt.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 23, S. 889, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-23_n0889.html)