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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 3, S. 82

Text

82 TETMAJER.

Maria. Ja, Oheim, und sieben Jahre seit dem Tode des Vaters.

Der Priester. Ihr armen Waisen! Doch jetzt kein Jammer
mehr. Geschehenes kann man nicht ungeschehen machen. Jetzt wird es
uns wieder wohl werden, wenn Gerhard nur erst zurück ist. Ich werde
versuchen, ihn zu bestimmen, dass er den schrecklichen Beruf eines
Walfischjägers aufgibt. Wozu beständig sein Leben der Gefahr aus-
setzen, wenn man sich doch auch anders durchbringen kann? Wohl
habe ich es selbst unter den Wilden von Afrika gethan, aber das ge-
schah in heiliger Mission, zur Erlösung ihrer Seelen. Aber hier!
Kann Gerhard sich nicht mit Anderem beschäftigen? Sieh’ dir
doch unsere Linden- und Ahornbäume an. In ihrer Schlichtheit
ziehe ich sie hundertmal den Palmen Afrikas vor. Gleich werde ich
mir ein kleines Gärtchen anlegen und werde Artischocken pflanzen.
Dazu wird sich ja wohl in unserem Obstgarten ein Plätzchen finden
lassen. Im Garten meiner Eltern, euerer Grosseltern, war immer ein
vortrefflicher Apfelbaum. Ja, ja, Gerhard muss heiraten, du, Maria,
musst auch einen braven Mann bekommen

Andreas (jäh auffahrend). Oh! oh!

Maria (indem sie sich erhebt). Was gibt’s? Was ist dir?

Der Priester. Warum schreist du? Was ist dir, Andreas?

Andreas. Dort auf dem Meere das Schiff

Der Priester. Ein Schiff? Wo? Und wenn es auch da wäre,
was weiter? Zeig’ doch, wo. Vielleicht kehrt Gerhard zurück? Warum
bist du so erschrocken? Hast du geträumt? Wo? So zeig’ doch! Am
Ende ist es Gerhard. Ich sehe nichts.

Maria. Vielleicht sind es die Heimkehrenden. Wo hast du das
Schiff gesehen? In welcher Richtung?

Andreas. Jetzt sehe ich gar nichts, aber eben erst sah ich es
dort im Süden. Wie sonderbar, wo ist es hin

Der Priester. Wie sollte es denn verschwunden sein, wenn du
es eben erst gesehen hast?

Maria. So weit das Auge reicht, ist auf dem Meere nichts zu
erblicken.

Der Priester. Weshalb bist du so erschrocken? Warum bist
du aufgesprungen und hast aufgeschrien, als hättest du ein Gespenst
erblickt?

Andreas. Ach Oheim, ich kann mich noch nicht fassen. Ich
weiss es nicht, war es ein Traum oder eine Vision. Mir scheint, als
hätte ich nicht geschlafen.

Maria. Deine Augen waren geschlossen.

Andreas. Ja, und doch ist mir, als hätte ich nicht geschlafen.
Ich dachte an Gerhard, an Sylvester dort hinter dem Walde, an den
alten Hieronymus, an die beiden Ruba und an Alle, die mit unserem
Bruder auf den Walfischfang hinaus sind. Es ist möglich, dass ich

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 3, S. 82, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-03_n0082.html)