Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 3, S. 85
Text
Andreas. Der Wind geht stark.
Der Priester. Es wird kühl, lasst uns ins Haus gehen.
Maria. O nein, nein, bleiben wir hier am Meeresstrande und
lasst uns warten.
Der Priester. Wir können ja im Hause ebenso gut warten
wie hier.
Maria. Das wohl, aber hier sind wir ihnen näher. (Ein fremder
Schiffer mit einem Pack am Rücken tritt auf.)
Fremder. Guten Abend!
Der Priester. Seid gegrüsst. Woher des Weges?
Der Fremde. Von fern her, ich gehe in die Heimat.
Der Priester. Ich sehe an Euerem Anzug, dass Ihr ein Schiffer
seid, ein Walfischjäger.
Der Fremde. Ja, mein Vater. Ich komme vom Norden her,
vom Walfischfang.
Maria. Vom Norden her? Seid Ihr nicht einem Schiff be-
gegnet?
Der Fremde. Welches soll es gewesen sein?
Maria. Das »Kreuz des Südens«, es war auf dem Walfischfang·
Seid Ihr ihm nicht begegnet?
Der Fremde. Ich weiss es nicht, leicht möglich. Zahlreich sind
die Schiffe, die dort auf offener See kreuzen. Alle sind heimgekehrt,
vorzeitig kamen furchtbare Stürme und Fröste.
Maria (fieberhaft). Aber eines nicht. Ihr habt es gesehen? Nicht
wahr?
Der Fremde (erstaunt). Woher wisst Ihr, Jungfrau, dass ich es
gesehen? Ja, ein Schiff blieb zurück. Wir sahen es von fern, im Eise
festgefroren. Ihm kann nicht mehr geholfen werden bis zum nächsten
Jahre. Inzwischen wird das Eis es zerdrücken und zermalmen. Es ist
das erste nicht Wir selbst schwebten in grosser Gefahr
Maria (mit schmerzlichem Flüstern). Es war das »Kreuz des
Südens«.
Der Fremde. Ich habe einen weiten Weg bis nach Hause, ich
muss fort. Gott behüte euch. (Er entfernt sich grüssend.)
Der Priester. Gott behüte Euch.
Maria. Oheim, lieber Oheim, es war das »Kreuz des Südens«,
das Schiff unseres Gerhard.
Der Priester. Das kann Niemand wissen, mein Kind. Wessen
das Schiff auch gewesen sein mag, man muss für die Seelen der armen
Verunglückten beten. Ob es das Schiff deines Bruders war, das kann
Niemand wissen. Der Fremde wusste ja nicht, was es für ein Schiff
gewesen ist. Ich bin überzeugt, Gerhard kehrt zurück. Der Sturm hat sie
vielleicht etwas vom Lande fortgetrieben.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 3, S. 85, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-03_n0085.html)