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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 3, S. 106

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106 BENZMANN.

Glanz der seltensten Edelsteine, im Anblick exotischer Blumen und im
Dufte der wunderbarsten und unmöglichsten Parfums. Er weiss das
Alles so farbenprächtig, so bilderreich und mit so feiner Ironie zu
schildern, dass er uns nie langweilt. Der Herzog hatte eine Samm-
lung von Liqueuren, die er »seine Mundorgel« nannte. Der Geschmack
der Liqueure, so gross war die Kraft seiner Einbildung, spielte ihm
innere Symphonien vor. Wenn er von diesem oder jenem Liqueure
einige Tropfen trank, gelang es ihm, seinem Gaumen ähnliche Genüsse
zu verschaffen, wie solche die Musik dem Ohre bereitet. Nach seiner
Ansicht stimmte jeder Liqueur mit dem Ton eines Instrumentes
überein: der Kornbranntwein z. B. mit der Oboe, deren Klang näselt;
der Pfefferminz und Anisette mit der Flöte, süss und scharf schrill
und sanft zugleich Ein andermal kommt der Herzog auf die Idee,
sich einen Garten exotischer Blumen anzulegen. Und sogleich lässt er
den Gärtner mit den seltensten Gewächsen der Tropenländer kommen.
Seinem seltenen Geschmacke sagten natürlich die am unnatürlichsten ge-
formten und gefärbten Blumen am meisten zu. Ihn bezauberten geradezu
die fleischfressenden Pflanzen: »Gobe·Mouche, der Fliegenfänger der
Antillen, mit dem faserigen Rand, eine Verdauungsflüssigkeit absondernd,
mit gebogenen Stacheln versehen, die sich über einander krümmen,
ein Gitter über dem Insect bildend, welches er einschliesst; die Sarra-
cena, der Cephalothus, seine gefrässigen Hörnchen öffnend, fähig, wirk-
liches Fleisch zu verdauen und aufzuzehren.« Der Herzog hat eine aus-
gezeichnete Bibliothek alter lateinischer Classiker. Er liebt natürlich
nicht die normal empfindenden Dichter, sondern jene Spätlateiner, in
deren Werken sich der Verfall der alten Cultur gleichsam wiederspiegelt.
»Herzog Jean fing erst beim Lucian an, sich für die lateinische Sprache
zu interessiren. Die sorgfältig gearbeiteten, mit Schmelz bedeckten und
mit Juwelen gezierten Verse fesselten ihn. Vor Allem aber liebte er
den Petronius: Er zeichnet Thatsachen im richtigen Licht und Ver-
hältniss, er stellt sie in der bestimmten Form und Ordnung fest, ent-
hüllt das Kleinleben des Volkes, seine Erlebnisse, seine Rohheiten
wie sein sinnliches Treiben.« Diese Seiten gehören zu den interessan-
testen und werthvollsten des Buches, Huysmans entfaltet hier eine er-
staunliche Gelehrsamkeit. Mit einer Präcision ohnegleichen, mit be-
wunderungswürdiger Plastik charakterisirt er hier die spätlateinische
Literatur.

An anderer Stelle spricht sich der Dichter über die moderne und
besonders über die französische Literatur aus, auch hier immer ein
feinsinniges Urtheil in einer kurzen Charakteristik zusammenfassend. Vor-
trefflich sind seine Bemerkungen über Flaubert, Goncourt, Zola, Mallarmé
und Paul Verlaine. Besonders liebt er Edgar Poë. Er sagt von ihm:
»Dem Tod, den alle Dramatiker so sehr gemissbraucht hatten, hat er
ein anderes Aussehen gegeben; es war eigentlich weniger der wirkliche
Todeskampf eines Sterbenden, den er beschrieb, sondern der moralische
Todeskampf des Ueberlebenden, der vor dem elenden Bett von gräss-
lichen Hirngebilden, welche der Schmerz und die Ermüdung erzeugt

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 3, S. 106, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-03_n0106.html)