Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 167
Künstlerherzen (Drachmann, Holger)
Text
»Ja, er wird wohl auch auf den Forstrath losstudiren. Aber vor-
läufig betreibt er die Wirthschaft. Er kommt übrigens auch manchmal
hieher; wenn Sie darum vielleicht mit ihm sprechen wollen? «
»Danke! Aber hört, sagt mir einmal, von welcher Farbe ist denn
ihr Haar?« — Der Kerl sah mich zweifelhaft an. — Ich machte eine
Bewegung nach meinem eigenen Nacken: »Hat sie — hat sie so ganz
lichtes Haar hier hinten? So in die Höhe gekämmt? «
»Hm! Das kann ich nun eigentlich nicht recht sagen; denn sie
wechselt so oft die Farbe.«
»Wa — was?«
»Ich — ich meine die Façon. Sie steckt bald die eine, bald die
andere auf!«
»Ja; aber die Farbe?«
»Ja, die ist bald einmal roth, kommt es mir vor, bald einmal so
gemischt. Aber darüber kann ich wirklich beim besten Willen nichts Be-
stimmtes sagen; denn ich verstehe mich nicht auf derartige Körpertheile!«
Ich verzehrte mein Frühstück und nahm mir vor, ihn nicht aus.
den Augen zu verlieren.
Das war jedoch vorderhand leichter gesagt als gethan. Denn
vorläufig war er gar nicht da und wollte sich auch nicht zeigen. Der
Vormittag verging; es regnete ununterbrochen weiter; und ich blieb
ununterbrochen allein in dem ungemüthlichen Zimmer sitzen, das unser
Arbeitszimmer sein sollte. Der unaufhörliche Regen kann einen zur
Verzweiflung bringen. Mich machte er unfähig, irgend etwas zu arbeiten.
So kam der Mittag heran, und da endlich kam Heinrich.
Er hatte seinen Regenmantel an und trug an einem Riemen
unter dem Mantel seine Malercassette. Er warf beides von sich und
fragte, warum ich das Essen nicht bestellt hätte.
»Wo bist du denn gewesen?« fragte ich zur Antwort.
»Bei dem Doctor!«
»Malst du dort?«
»Ja!«
»Du hast dich also wieder auf Porträts geworfen?«
»Wenn man nicht anders kann Ja!«
»Wasserfarbe?«
»Verschone mich mit deinen schlechten Witzen!«
»Es war einer von deinen eigenen abgelegten! «
Er gab keine Antwort, sondern begann sich auf einem Stuhle
hin und her zu wiegen. Er war zerstreut und reizbar.
»Ist es der Doctor selbst, den du malst?»
»Nein, seine Frau!«
Ich glaubte plötzlich, die richtige Spur gefunden zu haben.
»Ist sie jung und schön?« fragte ich, vielleicht ein wenig zu eifrig.
Er sah mich an, als ob er aus mir heraus lesen wolle, was
möglicherweise hinter meinen Worten stecke. Er lächelte etwas spöttisch:
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 167, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-05_n0167.html)