Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 169
Künstlerherzen (Drachmann, Holger)
Text
Leuten zu gehören, von denen, wie man so sagt, zwölf auf ein Dutzend
gehen. Seine Gutmüthigkeit söhnte einen mit seiner fast etwas zu lauten
Sprechweise aus. Es traf sich, dass wir in einem »à la guerre« gegen
einander zu spielen hatten. Ich spiele schlecht, und mein Spiel wird
durch meine Unsitte, auf die kurzen, schnurrigen Wendungen der
Leute, locale Ausdrücke, Provinzialismen u. s. w. zu hören, nicht gerade
verbessert. Ich verlor an ihn und verlor ausserdem noch ein paar
Spiele, die er ganz privat vorschlug. Seine Freude darüber war geradezu
kindlich; das Unmittelbare kleidete ihn am besten.
»Na, Forstrath, Sie wollen wohl heute Abend zur Liebsten?«
fragte einer.
Der junge Mann zeigte seine weissen Zähne unter seinem Schnurrbarte
und antwortete, während er auf dem Billarde einen Doppeltreffer spielte:
»Den Henker auch! Sie ist ja gar nicht mehr hier bei dem alten
Jörgensen. Hieher kommt sie ja gar nicht mehr!«
»Dann wollen Sie wohl hinüber zu Doctors?«
»Zu Doctors oder Controleurs, ja; das ist jetzt ein und dasselbe,
seitdem sie das neue »Aufrechtstehende« bekommen haben, um darauf
herum zu hämmern. Josefine meint, das Clavier hier tauge gar nichts
mehr. Na, ich will’s wohl glauben, aber es war doch so gemüthlich
hier in der alten Bude. Nun soll man sitzen und mit anhören, was der
alte Murrhahn von Controleur erzählt, oder muss sich mit der Doctors-
frau von Musik und Büchern unterhalten. Der Himmel helfe mir! Am
liebsten bliebe ich ganz weg!«
»Na, aber hören Sie einmal, Forstrath !«
»Ach was, das ist doch auch gar zu langweilig. Und dann giessen
sie Theewasser in den Toddy. Das soll wahrscheinlich fein sein! Nein,
Cognac muss hinein; das ist fein!«
Man lachte rings im Kreise. Der Forstrath fuhr fort:
»Zum Glücke ist er da, der Maler «
Hier unterbrach er sich selbst, da er einen combinirten Stoss
ausführen musste.
»Zum Glücke?« dachte ich bei mir selbst. »Das klingt ja gar
nicht so schlimm, wie ich mir gedacht hatte!«
»Nun, was hat es denn mit dem Maler?« fragte einer der Orts-
einwohner, während ein Anderer ein Zeichen gab, dass man sich mir
gegenüber in Acht nehmen und vorsichtig sein müsse.
»Na, der ist doch ein vernünftiger Mensch!« sagte der junge
Forstrath. »Er kann so viele spasshafte Dinge erzählen. Es ist gerade,
als ob man im ‚Punch‘1) läse. Freilich, in der letzten Zeit voriges
Jahr begann auch er, albernes Zeug zu schwazen. Es ist aber doch
sonderbar, dass sich alle diese Menschen nicht enthalten können, einen
solchen Haufen Bücher zu lesen — und überdies sich gar noch daran
zu unterhalten!«
»Wird es Ihnen denn nicht angst, Forstrath?« fragte derselbe
Frager wie vorhin.
1) Name eines in Kopenhagen erscheinenden dänischen Witzblattes.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 169, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-05_n0169.html)