Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 8, S. 296
Text
Was war das? Eine Landschaft, die Bank dort oben unter den hohen
Buchen! Es waren Aquarelltinten über die Bleistiftstriche gezogen —
es war das goldene Nachmittagslicht mit starken, tiefen Schatten, dem
Vorboten des Abends, das über mein eigenes von der Mittagssonne
beschienenes Treffplätzchen hinfiel.
Wenn man genau zusah, so hatte er sogar die »Stimmung« vor
mir voraus.
Ganz unten auf dem Blatte stand etwas mit Bleistift geschrieben.
Ich las: »Ja, sie hat es mir gesagt, heute hat sie es gesagt, dass
sie nicht weiss, was aus ihr werden soll: Du musst mich mir selbst
retten, du musst mich von ihnen Allen befreien; nur dich liebe ich;
liebe, liebe dich.«
Ich liess das Buch los und ergriff es wieder. Heinrich war sehr
genau in der Datirung jedes kleinen Entwurfes. Die Landschaft schrieb
sich von gestern.
Es war Nachmittag geworden, und die Tage fingen bereits an,
kürzer zu werden. Das röthlichgelbe Abendlicht schien bald durch das
Fenster herein und blendete mir die Augen. Ich ging hin und liess
das Rouleau herunter.
In demselben Augenblick klopfte es an die Thür, die hinaus auf den
Gang führte. Ich drehte mich unwillig um; ich dachte, es wäre der Knecht.
Es war der junge Forstrath, der in der Thüre stand.
Ich lud ihn durch eine Handbewegung ein, näher zu treten.
Er drehte und wendete mit einer gewissen Verlegenheit seinen
Hut in der Hand; dann aber, gleich als ob er einen muthigen Ent-
schluss gefasst habe, setzte er sich auf den angebotenen Stuhl.
Ich selbst stand aufrecht, mit dem Rücken nach dem Fenster zu.
Der Lichtschein vom Rouleau her fiel ihm gerade ins Gesicht; er war
zinnoberroth, trocknete sich die Stirn mit dem Taschentuch und legte
den Hut von sich.
Ich verbeugte mich höflich; ich wartete. Er begann.
»Ich muss Sie um Entschuldigung bitten — es ist nämlich
warm heute Abend!«
Dagegen war nichts einzuwenden. Ich verbeugte mich bejahend.
»Es ist eigentlich — das heisst — darf ich offen sprechen? Na
ja, es ist meine Braut, müssen Sie wissen «
Darauf folgte eine Pause, während der wir einander anblickten.
Ich biss mich unmerklich in die Lippe und fragte: »Ist es Ihre Braut,
die Sie hierher sendet?«
»Nein,« brach er mit komischem Eifer aus. »Es ist Ihr Freund,
der Maler, der «
»Ist er es, der Sie schickt?« fragte ich.
Er rückte auf seinem Stuhle hin und her, sah mich mit seinen
gutmüthigen Augen an und zog seine Stirn in Falten.
Es that mir leid um ihn.
»Hören Sie nun,« rief er; »ich kenne Sie ja fast gar nicht; aber
Sie sind gewiss ein sehr stiller Mensch. Man sieht Sie niemals in
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 8, S. 296, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-08_n0296.html)