Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 8, S. 297
Text
der Gaststube, und wie man sich erzählt, sitzen Sie den ganzen Tag
und studiren und kommen mit keinem Menschen zusammen. Ist Ihr
Freund nicht viel jünger als Sie?«
Ich antwortete, er wäre etwas jünger als ich.
»Er legt gewiss viel Werth auf das, was Sie ihm sagen, nicht
wahr ?«
Ich machte eine ungeduldige Bewegung, und der junge Forstrath
führte wieder das Taschentuch nach der Stirn. Dann schob er sich
halb vom Stuhle:
»Sie müssen es Ihrem Freunde einmal sagen, er dürfe meiner
Braut nicht immer so am Rocke hängen, ihr nicht immer nachlaufen
und allezeit mit ihr dort bei Doctors sitzen. Das ganze Dorf spricht
ja jetzt von nichts Anderem, und es ist doch wahrlich — na ja, das
geht nicht, hören Sie; wollen Sie es ihm nicht sagen?«
Dem jungen Landmann standen grosse Schweisstropfen auf der
weissen Stirn über seinen gebräunten Wangen, und sein Blick war
drohend und bittend zugleich. Ich räusperte mich, sah ihn an und
sagte langsam:
»Warum sagen Sie ihm das nicht selbst?«
»Warum, warum? Zum Geier auch, ich habe es ihn ja merken
lassen; aber ich kann nun einmal nicht so — wissen Sie; ich
möchte nicht hitzig werden, ich will keinen Scandal machen; und da
dachte ich, dass Sie vielleicht, der Sie doch ein so ruhiger Mensch
sind «
Er hielt wieder inne und sah mich an.
»Ich kenne Sie ebenso wenig wie Sie mich. Aber ich kenne
meinen Freund und stehe für seinen Charakter ein. Indessen, er ist
Künstler, besitzt viel Gefühl, und es ist ja nicht unmöglich, dass sein
Gefühl einmal mit ihm durchgegangen ist. Sie erweisen mir die Ehre,
mich als seinen Vormund zu betrachten; das bin ich nicht, ich bin
sein Freund und Kamerad. Ich könnte ihm als solcher recht wohl
einen Rath geben, im Falle ich es für nützlich hielte; aber dann
rnüsste ich doch erst sicher sein, dass nicht auch der andere Part in
der Angelegenheit — verstehen Sie mich? — vielleicht ebenso gut
eines Rathes bedürftig wäre. Mit anderen Worten: ich besitze in dieser
Angelegenheit nicht das Vertrauen meines Freundes. Besitzen Sie das
Ihrer Verlob..., der jungen Dame?«
Er sah mich an, fragend, mit grossen Augen, als ob er nicht
richtig bei der Sache wäre. Aber plötzlich blitzte es wie Erkenntniss
in seinen treuherzigen Augen auf.
»Ah so,« rief er, »Sie meinen, sie — ja aber, Sie kennen sie ja
gar nicht. Sehen Sie, ich weiss recht wohl, dass die Leute sagen, meine
Braut amüsire sich gern. Es ist nun immer so ein eigenes Ding mit
den jungen Mädchen, die sich gern mit jedem unterhalten wollen, die
singen, Clavierspielen und immer unter Leuten sein möchten. Aber ich
sage mir selbst: es wird ja nicht lange dauern, so habe ich eine
Stellung und kann mich verheiraten. Nachher muss sie mit dort oben
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 8, S. 297, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-08_n0297.html)