Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 8, S. 298
Text
auf dem Gute sitzen und mit zugreifen, wo es fehlt, und — na ja,
man weiss ja, was sich Alles in einer Ehe ereignen kann — Kinder,
nicht wahr?
Ich hatte mein Federmesser hervorgeholt und bearbeitete die
Spitze eines Bleistiftes. Ich legte meine Arbeit aus der Hand, als er
fertig war, trommelte mit der Messerspitze auf meinen Fingernagel
und sagte: »Ich danke Ihnen für das Vertrauen, das Sie mir entgegen-
gebracht haben, indem Sie meine Hilfe in einer so delicaten Angelegen-
heit suchen. Sie dürfen überzeugt sein, dass ich meinen Freund zu
seinem eigenen Besten — ich wiederhole: zu seinem eigenen Besten
— berathen werde. Jedenfalls wird es nicht meine Schuld sein, wenn
er etwa nicht zu einer ebenso klaren Einsicht in dieser Sache gelangt
wie ich selbst.«
Er musste am Tone meiner Worte hören, dass wir fertig mit
einander waren. Es gibt indess gutmüthige Menschen — möglicherweise
eine Nationaleigenthümlichkeit bei uns — die es nicht aushalten können,
das Gefühl irgend einer ernsten Situation mit sich zu nehmen. Er
wandte sich noch auf der Diele wieder um, streckte mir in aller Ge-
müthlichkeit seine Hand entgegen und sagte in einem gewissen kamerad-
schaftlichen Tonfalle, der meine etwas angegriffene Stimmung nicht ge-
rade erheitern konnte:
»Hören Sie, Sie dürfen es mir nicht übel nehmen, aber ich kann
Sie im Grunde verdammt gut leiden, weil Sie weiter keinen grossen
Scandal aus der Geschichte gemacht haben. Ja, ich könnte mir ordent-
lich wünschen, Ihre nähere Bekanntschaft zu machen, wie? Und sehen
Sie, wenn ich nun mit Josefine verheiratet bin, dann kommen Sie und
besuchen uns einmal. Sie können meinetwegen gern Clavier mit ihr
spielen — das heisst, wenn sie nachher Zeit hat; aber« — und hier
ging seine Gemüthlichkeit in die höchste Potenz ländlicher Schelmerei
über — »den Maler, den lassen wir hübsch zu Hause; nicht wahr?«
Sobald sich die Thür geschlossen hatte, warf ich mich aufs Sofa.
Es war ein Glück, dass ich mein kleines Messer in die Tasche gesteckt
hatte; ich hätte sonst leicht zu Schaden kommen können. Gemüths-
bewegungen und Messerklingen passen nun einmal nicht gut zusammen.
Ich bedauerte mich selbst und die arme Menschheit. Hier stand
wieder einmal ein Ehebündniss vor der Thür, und bald sollte es durch
einen Machtspruch geheiligt sein. Ach ja, die Menschen haben ange-
fangen die profansten Dinge zu canonisiren, Steine, Holzklötze, und
damit werden sie fortfahren, so lange überhaupt noch ein Klotz übrig
ist. Welche Brutalität bei aller Gutmüthigkeit derselben! »Ich will schon
mit ihm fertig werden.« Ich wiederholte diese Worte wohl zehnmal,
und ich bemitleidete sie. Ich bemitleidete schliesslich auch ihn. Welche
Erfahrungen warteten seiner! Oder — sollte seine Methode doch
vielleicht die richtige sein?
Es überkam mich fast ein Gefühl von Ekel bei diesen Be-
trachtungen. Ich wandte mich meinem eigenen verletzten Selbstgefühle
zu. Dabei findet der Mann in der Regel einen Trost — eine Art Be-
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 8, S. 298, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-08_n0298.html)