Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 8, S. 306
Text
»Ach — deine Ehe! Ich kenne sie — ich habe sie oft be-
lauscht, wenn ich an der Wand hing und du schlaflos ins Finstere
starrtest. Da schalt der Kopf: Geh’ mit deiner Gefühlsduselei, weibische
Seele! Ich muss das besser wissen! — Er that, als hätte er die Weis-
heit gepachtet — der Ueberkluge! Doch ob er die Seele auch knebelte
— nimmer ward er seines Sieges froh. Hören musste er die lange
Nacht, wie die heimlich geliebte Gattin bitterlich weinte — die arme
Seele! Und die Beiden könnten so einig leben — so schön!«
Wie leiser Wiederhall bebte aus der Guitarre ein seliger Zusammen-
klang. Hier in mir dagegen Verdammniss — Zerrissenheit — Felsen-
wüste! Der qualvolle Druck rang, sich zu lösen — ein Schluchzen
brach aus meiner Brust.
»Ja, weine dich aus! Sehne dich nach dem neuen Leben! Dann
wird ja Alles gut — du wirst Frieden finden.«
O, Frieden — ja, gib mir Frieden, liebe Freundin!
»Den musst du selber dir erringen. Unfriede soll sein eigener
Heiland sein. Einstweilen Ruhe — Waffenruhe! Aufathmen lass die
arme Seele! Komm’ ins Freie — hinaus zu den Sternen! Nun bist
du ja ihrer Musik gewachsen. Lausche nur und schaue gläubig empor
zur Heimat der Harmonie! Singe mir ein Trostlied — weisst du noch?«
Welches Lied?
»Die mit Thränen säen, sollen mit Freuden ernten! — Du hast
sie wohl vergessen, die fromme Weise? Nun, so will ich dir etwas
singen. Komm’ nur!«
Und ich ging mit der Guitarre hinaus. Die Frühlingsnacht küsste
mich auf die Stirne, ein Duft von Erde und Jugendfrische hauchte
vom knospenden Gesträuch und sprossenden Rasen, die Sterne be-
zauberten mein Auge und senkten ihr Sinnen tief in meine Seele.
Leise sangen sie, während die Guitarre Accorde hauchte:
«Sei still und lausche — lauschend gleite
Zum kühlen Rasen — breite, breite
Die Arme andachtsvoll empor!
In Dunkelblau, in Silberschauer
Lass taumlig deine Augen sinken,
Und dieser Kränkung letzte Trauer
In unser’m Ruhemeer ertrinken!
Von Menschenbosheit wund gesteinigt,
Im Strahlenquell gesund gereinigt,
Sollst du ein Heil der Erden,
Ein stiller Weiser werden.
Sei nur getreu der Sehnsucht,
Die um den Frieden freit!
Wer treulich schmachtend aufwärts schaut,
Dem wird das Höchste angetraut —
In Ewigkeit, in Ewigkeit!
Und Ewigkeiten sind nicht weit,
Wenn fern entrückt ob Welt und Zeit
Im Sternenliede
Dein Sinn verschwimmt Der Sternenfriede,
Der tiefste Friede sei mit dir!«
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 8, S. 306, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-08_n0306.html)