Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 10, S. 368

Stücke aus einem Roman in Romanzen »Zwei Menschen« (Dehmel, Richard)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 10, S. 368

Text

STÜCKE
AUS EINEM Roman in Romanzen »Zwei Menschen«.
Von Richard Dehmel. Taufnamenspiel.

Kaminfeuer und blauer Tag
liebkosen ein hohes Damengemach,
die Wärme scheint schier frühlingshell;
zwei Menschen ruhn auf einem Eisbärfell.
Ein Mann bestarrt die meergrün seidnen Wände,
ein Weib fasst zärtlich seine Hände:

Quälst dich schon wieder mit Alltagssachen?
Lukas! mein Traumprinz! sollst doch lachen!
sollst uns mit Märchennamen taufen,
nit so hinterm Leben herlaufen,
nit so hässlich auf deiner Hut sein;
weisst? wenn du lachst, Lux, muss alle Welt dir gut sein!

Er lacht und küsst die schmeichelnden Fingerspitzen,
fährt durch den dunkeln Haarbusch sich,
und seine grauen Augen blitzen:

Ja — wenn ich traurig bin, hass’ ich mich,
dann wird wohl auch die Welt mich hassen.
Jetzt aber will ich dich beim Worte fassen,
Bella: sehr eigen tauf ich dich.
Es thut nicht noth, dass man dem Alltag trotzt,
es gibt kein Wort, das nicht von Märchen strotzt;
drum bleibe nur das Wunder, das du bist,
und ich bin Lukas dein Evangelist.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 10, S. 368, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-10_n0368.html)