Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 10, S. 369
Stücke aus einem Roman in Romanzen »Zwei Menschen« (Dehmel, Richard)
Text
Du bist die Fürstin Isabella Lea,
die Löwin und die Gottbeschwörerin;
aus deiner schwarzen Mähne, mea Dea,
lauscht Mutter Isis, Mutter Gäa
zum Lichtbringer Osiris hin.
Und Ich bin Lukas Luchs, dein Secretär,
das dunkle Raubthier mit den hellen Lichtern,
der Grosse Geist-Luchs der Indianermär,
verhasst wie Lucifer den Blassgesichtern.
So tauf ich uns — pass auf — mit neuem Sinn:
huh, meine grosse Geistbeschwörerin!
Er schlägt das Eisbärfell um sie und sich,
zwei Menschen freun sich königlich.
Sylvesternacht. Viel Glocken läuten.
Fern graut die Grossstadt her; zwei Menschen sehn
den Dunst des Horizontes leuchten
und drüber die Millionen Sterne stehn.
Zwangvoll, um ein Weib nicht zu berühren,
lehnt ein Mann auf eisernem Balkon,
sagt mit trunknem, heiserm Ton,
während im Zimmer Gläser klirren:
Dort schläft im Dunst mein Eheweib,
und Du besiehst mit mir die Sterne;
und hinter uns trinkt Jemand Haute-Sauternes,
dem du gehörst mit deinem Leib,
mit deinem hoffnungsvollen Leib.
Himmel, o Himmel, könnt’ ich blind sein!
Bella! Isi! noch Einmal Kind sein!
Oh, du kennst wohl nicht dies Grauen:
göttlich klar zu überschauen:
nur aus Leid ist Glück zu bauen,
alles Leid ist Einsamkeit,
alles Glück Gemeinsamkeit.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 10, S. 369, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-10_n0369.html)