Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 10, S. 370
Stücke aus einem Roman in Romanzen »Zwei Menschen« (Dehmel, Richard)
Text
Er stockt. Die Glocken rings verstummen;
es ist, als ob die Sterne summen.
Die Stirn erhebend sagt ein schwangres Weib:
Nur mir, nur Gott gehört mein Leib.
Mir steht ein andrer Himmel offen,
als ihn die Leidenden ermessen.
Hast du dein eignes Wort vergessen:
Gott ist der Mensch, auf den wir hoffen?!
Uns ging kein Paradies verloren,
es wird erst von uns selbst geboren.
Schon reift in manchem Schooss auf Erden
ein neuer Menschensohn — der sagt:
so ihr nicht alle Himmel in euch tragt,
könnt ihr nicht wie die Kindlein werden!
Es glitzern die Millionen Sterne;
zwei Menschen schauen in die Ferne.
Ein Zimmer schwimmt voll Cigarettenduft,
zwei Menschen blasen Ringe in die Luft.
Nun blickt ein Weib, aufathmend, einen Mann
verstohlen an,
seine offne Stirn, den zugespitzten Bart,
den Mund von träumerisch verschlossener Art,
Hiebnarben neben den heftigen Nüstern,
und fängt wie unwillkürlich an zu flüstern:
Diese Nacht war furchtbar. Ich könnt nit schlafen,
mich quälten die unausgesprochnen Dinge;
es war halb Traum, halb Höllenstrafe.
Wie auf der Jagd — als stäke mein Hals in Schlingen
fern stand mein Gatte und schrie hetz-hetz!
Plötzlich ein Ruck: es war, als klinge
das Telephon am Kopfend meines Betts,
als wollte dein Weib mich Grauenhaftes fragen,
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 10, S. 370, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-10_n0370.html)