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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 11, S. 405

Text

ERNEST LA JEUNESSE. 405

hat seine Dienstjahre im Leibe wie alle Generale, und das genirt ihn,
er will es nicht auf sich nehmen, die Revolution anzufangen. Wir
haben keine jungen Generale mehr, die siegen müssen, es ist nichts
mit ihnen anzufangen, und, wenn sie’s auch versuchen die Ver-
schwörungen gelingen ihnen nicht. Um eine gute Cavalleriecharge zu
machen, muss man nach Longchamps hinaus, in den Strassen von Paris
ist der Raum zu gering.

Nein, das Abenteuer gelingt nicht Mit dem Staatsstreiche hat
es ein Ende.

»Général, tu ne m’intéresses pas!«

In der Mitte der La Jeunesse’schen »Nachfolge«, gleich nach dem
»Studia la matematica«, steht ein kleines Capitel, das in einem Kaffee-
haus beginnt und — in den Wolken endet. Diese wenigen Seiten
geben den besten Aufschluss über die Seele des jungen Napoleon-
Schwärmers. Es ist von einer kleinen Frau die Rede, von einer kleinen
Frau mit langem Lockenhaar und einer weiten faltenlosen Robe, in
welcher sich die Sensibilität des Dichters krystallisiren möchte: »Elle
est nous et notre génération
.« Man ist nicht in die kleine
Frau verliebt. Ein kleiner Kitzel, ein bischen Sentimentalität, und das
ist Alles. Der junge Mann sitzt in der Ecke des Cafés und folgt
seinen Träumen. Es ist still, und dieser Raum hat sicher nichts Heroisches,
aber die Seele Napoleons gleitet doch hindurch, weil er da sitzt, in
sich gekehrt, schüchtern nach der kleinen Frau blickend, die ihm Verse
hersagt. »Hätte Napoleon dieses Mädchen geliebt?« — —

»Genügt mir auch Napoleon?« fragt er dann zweifelnd, weil man
sich eben seinen Meistern »immer überlegen fühlt«, und das »Mannel«
schliesst mit einer »Gebrauchsanweisung«: »Setz dich. Es ist der Thron!«
— ohne Aufschluss

Seine grinsende Ironie in Hoffmann’scher Art, sein feiner Witz,
der oft an denjenigen Heinrich Heine’s erinnert und — nicht zu ver-
gessen — seine Bosheit, machen ihn zu einem der beliebtesten
»Causeurs« der Pariser Premieren. Er bewegt seinen »corpszigzagant«
zwischen harmlos plaudernden Gruppen und mit seiner kreischenden,
agressiven Stimme gilt er als der ewige Störefried. Die jungen Literatur-
kreise der kleinen Revuen haben ihm den Krieg erklärt und seine
Gegenwart verbreitet unter ihnen einen panischen Schrecken. Und
seinen Freunden schenkt er zur Erinnerung an vergangene Zeiten und
zur Vorbereitung auf die künftige Dictatur die alten, napoleonischen
»médailles de Saint-Hélène«.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 11, S. 405, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-11_n0405.html)