Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 11, S. 415
Text
es junge Gutsbesitzer und Staatsbeamte mit überaus angenehmen Allüren;
die meisten von ihnen fanden die richtigen Worte, als sie der Ball-
königin, »die sich ihrer Einsiedelei erbarmt hätte,« ihre unbegrenzte
Huldigung zu Füssen legten. Doch Jenny war kein Mädchen von
siebzehn Jahren mehr, sie suchte nicht flüchtige Verehrung, sondern
bleibende Hingebung, festen Halt. Der blühende, wonnige Leib, dessen
Bild die Spiegelscheiben zurückstrahlten, barg bereits eine ermattende
Seele, die mit Sehnsucht Ruhe nnd Frieden im engbegrenzten Heim
erflehte Die Tochter des Ministerialraths hielt Umschau in der
Schaar der sie umringenden Herren. Alle Blicke hingen an ihr und
verzehrten sie förmlich — so lange Jenny ihre grauen, unergründlichen
Augen ins Leere gerichtet hatte; doch sowie sie dieselben auf eine be-
stimmte Person heftete, ging dem Betreffenden vor so viel weiblicher
Kraft und Majestät der Muth aus, und er stahl sich verzagt aus dem
Kreise, suchte sein Heil in den Reihen der bescheidenen Landschön-
heiten. Das war eigentlich Feigheit, Mangel an männlichem Selbst-
vertrauen.
Jenny empfand es mit wachsendem Unmuth. Ihr entging nicht
das geringste Zeichen, welches darauf hindeutete, dass sie trotz Allem
wie eine Fremde angesehen wurde. Die feuchten Blicke der Männer
verletzten sie — sie war keine Abenteuerin! Das verstohlene Gehaben
der Frauen und Mädchen empörte sie — wahrlich, vor diesen Gänschen
sollte sie auch noch wegen ihres schimmernden Nackens und ihrer
alabasternen Arme um Vergebung bitten! Das Vergnügen war
gering. Als das eigentliche Ballgetriebe anging, war Jenny bereits so
gut wie verlassen. Bloss ein Einziger verharrte an ihrer Seite, ein
eleganter schmächtiger Cavalier, Graf Weidenbruck, Statthaltereiconcipist,
der im Orte der Bezirkshauptmannschaft zugetheilt war. Dieser meinte
es offenbar anders als die Anderen.
Er blickte Jenny tief in die Augen, und in seine herb tönende
Stimme hallte es wie ein Seufzer hinein. Er sprach mit dem Mädchen,
das ihn fast um Kopfeslänge überragte, vom Leben, wie es ist, und
nicht wie es in albernen Ballgesprächen zur grotesken Caricatur ver-
zerrt wird. Jenny war gerührt, fühlte sich zu ihm hingezogen. Es war
ihr einen Moment, als hätte sie das Glück ihres Lebens in der Hand
und brauchte nur, ebenso wie er, mit einigen aufrichtigen, herzlichen
Worten ihre Vereinsamung kundthun, auf dass er ihr die Rechte ent-
gegenstreckte Ach, Jenny muss vor Scham erglühen darüber, dass
sie sich hat hinreissen lassen! Welche Unbesonnenheit, gütiger
Himmel! Sie, ein vierundzwanzigjähriges Mädchen! Jawohl,
Jenny war recht voreilig und unklug, als sie die Sehnsucht des Weibes
dem Grafen gegenüber in. ein paar melancholische Worte kleidete. Es
folgte eine Enttäuschung, wie sie nicht fürchterlicher gedacht werden
konnte. Der junge Herr verfärbte sich. »Ich meinestheils habe in
dieser Richtung resignirt,« sagte er leise, aber bestimmt; »die Satzungen
des Ritterordens, dem ich angehöre, verhalten mich zur Einsam-
keit.«
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 11, S. 415, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-11_n0415.html)