Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 12, S. 461
Text
Von Eugen Guglia (Wien).
Er war der grosse Versprechende: wie viel er auch gab, er
verhiess noch immer etwas. Das war sein grosser Reiz und seine
Jugend.
Er sagte manch gewaltiges Wort. Aber sein Blick sprach: Wartet,
ich weiss noch höhere Worte, noch tieferes Geheimniss.
Es war eine Dunkelheit um ihn, nur der Glanz seiner Blicke
leuchtete, und seine weissen Hände winkten durch die Nacht, in die
Nacht.
Wie sagt Zarathustra doch? »Ich liebe die, welche nicht zu leben
wissen, es sei denn als Untergehende, denn es sind die Hinüber-
gehenden.«
Er war ein Hinübergehender. Immer dachte man bei ihm: Wohin
wirst du mich führen? In welches unbekannte Land? Immer dachte
man, wenn man von ihm schied: Das nächstemal find’ ich dich nicht
mehr hier, find’ ich dich auf neuen Meeren, auf noch ungekannten
fremden Eilanden.
Wie oft war es, dass man hinter seiner Maske eine zweite Maske
ahnte. Unter, hinter dieser noch eine, und dann wieder eine. Wo ist
er selbst? fragte man dann.
Ich denke an seinen König Richard. Von Scene zu Scene
wandelte sich sein Bild, schien sein Wesen sich zu wandeln. In Selbst-
gesprächen enthüllt er’s scheinbar, und doch lüftet er kaum den Zipfel
des Schleiers. Nur zuletzt wirft er die Hülle ab: »Wohl tausend
Herzen schwellen meinen Busen!« Es kommt mit schmetterndem Klang
aus dem Innersten seiner Seele, jetzt ist kein Zweifel, der echte Richard
— wir kennen ihn nun. Aber es ist ein Augenblick nur. Gleich ent-
schwindet er uns im Gewoge des Kampfes, in der Nacht des Todes.
Wir aber wünschen ein neues Stück, wo dieser echte Richard uns noch
mehr enthüllte von seinem Wesen.
Und ich denke an seinen Röcknitz. Da spielt er den »Löwen-
willigen«, dem die Liebe »die grosse Herzstärkung ist und das grosse
Gleichniss Glück für höheres Glück und höchste Hoffnung«. Und die
Weiber entzückten sich an ihm und sagten: »Selig die, der ein Mann
auch nur so von Liebe spricht.«
Aber die Männer dachten: Ist es ihm nicht bloss ein Spiel? Wo
ist sein Ernst? Draussen, wenn er mit seinen Rossen über die weite
Haide jagt? Draussen auf dem dampfenden Schlachtfeld unter allen
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 12, S. 461, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-12_n0461.html)