Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 12, S. 464
Text
Frau gegenüber versagt — dann danke schön. — Ja, Finken Gran,
das ist ein richtiges Frauenzimmer und ein Teufelsmädel — ein Weib
bis in die Fingerspitzen und nach aussen hin Dame Sie ist gesund
und frisch und saftig wie eine Preisselbeere
Kurz und gut, Finken heiratete Tom Helm, und in der ersten
Zeit ihrer Ehe waren sie sehr glücklich.
Es war ja nur ganz natürlich, gleichsam eine Folge seines lang-
jährigen Bummellebens, dass er unvernünftig eifersüchtig war.
Und die Männer verliebten sich in seine Preisselbeere mehr und
mehr, je reifer sie wurde.
Gegen seinen Willen musste er wie ein Spion sich mit allerhand
Vorwänden umhertragen, um ständig in ihrer Nähe sein zu können.
Und wenn er dann meinte, Grund zur Eifersucht zu haben, und sie
ausschalt, warf sie ihm zur Antwort nur einen Blick zu, den er so
verteufelt schön fand, dass er schweigen musste.
Aber auf die Dauer wurde seine Wachsamkeit oder richtiger sein
Mangel an Vertrauen für sie überaus unbehaglich.
Er duldete nicht, dass sie einen anderen Mann ansah oder mit
ihm sprach. Und was fast noch schlimmer war: nach und nach zog
er sich vom Verkehr mit ihrem eigentlichen Freundeskreis zurück und
schloss sich mehr an seine eigene Familie an.
Und diese — war ihr ein Graus. Feine, brave Menschen, ohne
einen Tadel im Sittenheft, aber auch ohne ein Freudenlächeln im Auge;
eine Familie, die in Dick und Dünn zusammenhielt, deren Mitglieder
einander bewunderten und niemals an ihre unangreifbare Vorzüglichkeit
zu erinnern vergassen, wenn eine neue Person durch Verheiratung in
dieselbe aufgenommen wurde.
»Bedenke, dass du nun eine Helm bist,« wurde auf der Hochzeit
Finken in den verschiedensten Tonarten gesagt.
Und Finken entdeckte allmälig, was es heissen wollte, eine Helm
zu sein; man langweilte sie fast zu Tode; man machte ihr Alles
interesselos und zuwider; man prägte ihr altkluge Gedanken ein.
»Dies« musste sie nicht thun, und von »jenem« musste sie sich
fernhalten; mit »dem« musste sie nicht gehen — sprach »der« sie auf
der Strasse an, dann sollte sie, um ihn los zu werden, vorgeben, dass
sie in dem oder dem Laden etwas zu thun hätte; »dieser« wäre keine
passende Gesellschaft für sie; »so« musste sie sich nicht kleiden;
»das« schickte sich nicht für eine Helm.
Aber gerade »dies« und »jenes«, »dieser« und »jener«, »so« und
»das« behagte ihrer Natur, und da sie diese nicht befriedigen durfte,
wurde sie verdriesslich und schwer umgänglich.
Tom war der Schlimmste. Er, der jahrelang nach seinem Wohl-
gefallen gelebt hatte, war nun ein alter Stubenhocker, ein Topfgucker und
Familien-Sonntagsgast geworden, der sie fortwährend zu diesen unerträg-
lichen »Abfütterungen« in der Familie herumschleppte, wobei jeder seinen
bestimmten Tischplatz hatte; wo das Essen das einemal accurat wie das
andere war; wo Tante Peter und Onkel Paul die Leute in ganz gleicher
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 12, S. 464, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-12_n0464.html)