Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 12, S. 473
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Gestalten, künstlerischem Ergötzen in der Nachbildung des Menschen-
leibes und Belebung der Natur kann das Werk Boecklins nicht leicht
übertroffen werden. Es ist zu kräftigstem Behagen des Beschauers von
einem Künstler hingestellt, der sich eine neue Welt erschaffen. Von
diesem grossen Heiden zu Fritz von Uhde ist ein weiter Weg. Aber
sein Ziel ist lohnend. »Christus predigt am See« ist ein ergreifendes
Werk. Es zeichnet sich vor Allem durch rührende, beredteste Einfach-
heit aus. Einfachheit bis zum völligen Verzicht auf alle rein technischen
Wirkungen, über die Meister Uhde doch souverän verfügt. Er hat
sich mit seinem Stoff innerlichst durchdrungen, er ist ihm völlig auf-
gegangen, aber er hütet sich ängstlich, ihm irgend einen spielenden,
virtuosen Beisatz zu geben. Die Composition des Bildes zeigt eine
bewunderungswürdige Concentration. Die Worte Christi lösen eine
neue, tief innere Welt in seinen Zuhörern aus. Eine helle Erleuchtung
der Seele macht sie achtlos gegen die trübe Abendstimmung der
Aussenwelt. Diese kleine Versammlung Bedrückter aller Altersclassen,
deren jugendliche Mitglieder insbesondere die neue Lehre mit klam-
mernden Organen in sich aufnehmen, spiegelt den Eindruck dieser
Offenbarungen in der glücklichsten und mannigfaltigsten Art wieder.
Die Darstellung der Erscheinung des Erlösers ist der Höhepunkt
dieses Bildes. Ohne jeden Zusatz von Süsslichkeit im Ausdruck des
Antlitzes, in absichtslos natürlichster sitzender Stellung und mit einer
Handgeberde, die seinen Worten den Nachdruck mildester Ueberredung
verleiht, lässt dieser Christus nicht den mindesten Zweifel übrig, dass
von seinen Lippen Worte fliessen, die den umwandelnden Eindruck
auf die Zuhörer mit Naturnothwendigkeit zur Folge haben müssen.
Das Bild bringt uns wie alle Werke Uhde’s nahe, wie viel aus diesem
Stoffe noch zu holen ist, wenn seine Behandlung der Schablone und
archaistischer Nachäfferei entrissen wird. Es liegt Charakter darin —
auch eine grosse Sache.
Nicht so glänzend, wie im Künstlerhause durch seine Plastik und
das Kreuzigungsbild, ist in der Secession Max Klinger vertreten.
Freilich ist die Darstellung des menschlichen Körpers in seiner »Am
Strande« liegenden weiblichen Figur von einer nicht zu übertreffenden
Vollkommenheit der Zeichnung. Der Kunstverstand, den wir in deren
Durchbildung bewundern, ist schier verblüffend. Doch steht Klinger’s
Farbensinn, wenigstens in dieser Arbeit, nicht auf der Höhe seines
Formensinnes. Die Farben sind in Absicht auf die Detaillirung der
Lichtwirkungen etwas ängstlich aufgetragen und dem Colorit haftet
eine gewisse Härte an.
Max Klinger stellt in seinem Kunstschaffen den Menschen in
erste Linie. Die Natur bleibt für ihn Hintergrund, von dem der Mensch
sich abhebt. Hans Thoma aber ist so recht der Pantheist unter der
deutschen Malergilde. Ihm ist Wald und Feld, Wasser und Luft,
Mensch und Thier gleichwertig beseelt, er versteht, wie Siegfried, die
Sprache der Vögel. Er ist kein Symbolist. Bei ihm redet jeder
Gegenstand unmittelbar. Eine tief deutsche, vom Gemüth geadelte
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 12, S. 473, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-12_n0473.html)