Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 12, S. 474

Wiener Kunstfrühling (Schoenaich, Gustav)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 12, S. 474

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474 SCHOENAICH.

Phantasie bemächtigt sich der Objecte und lässt uns an ihnen den
Glanz des Künstlerischen, ihren Schönheitsgehalt erblicken. Er ist ein
grosser Fabulirer als Maler. Das künstlerische und menschliche Wesen,
das aus seinen Werken spricht, ist so gewinnend, dass wir Schwächen
seiner Darstellungen gerne übersehen. Thoma überfällt uns nicht, er
überredet uns leise und ohne rhetorischen Aufwand. Ganz absichtslos
zieht er uns in den Kreis seines reichen Naturempfindens. Der be-
scheidene und doch so intime Reiz einer Taunuslandschaft findet in
ihm den wärmsten und erfolgreichsten Anwalt. Mit Fabelthieren und
Meerweibern verkehrt er in seiner Phantasie als seinesgleichen. Dass
er auch mit den Schönheiten der menschlichen Gestalt wohl vertraut
ist, zeigen uns seine ausgestellten »Bogenschützen« und die ver-
schwenderische Ueppigkeit seiner »Gardiniera«. Fehlt Thoma auch die
kraftstrotzende Grösse und grandiose Einbildungs- und Gestaltungskraft
Boecklin’s, so bleibt er immer einer der Ersten, welche die deutsche
Malerei aus der Cartonzeichnerei, der Illustrationswirthschaft und der
Schwartenmalerei wieder ins Land der Poesie zurückgeführt haben.

Die österreichischen Künstler haben in dieser Ausstellung nur
einen bescheidenen Raum für sich in Anspruch genommen. Um so
erfreulicher ist es, dass sich unter ihren Beiträgen fast gar keine Nieten
finden, dass alles Gebotene von Streben und Talent zeigt. Rudolf Alt
gebührt in jedem Sinne der Vortritt. Wir kritisiren ihn nicht — wir
gratuliren dem Altmeister. Er ist von der Natur niemals abgewichen
und so bietet sie sich heute dem Sechsundachtzigjährigen, so geneigt
wie dem Jüngling und Manne. Gustav Klimt ist kein Stürmer.
Unter seinen Arbeiten interessiren zwei vortreffliche Pastelle, der
sorgfältig durchgebildete Kopf eines Blinden und eine decorativ-symboli-
stische Supraporta für ein Musikzimmer. Einen starken Wahrheitszug
hat Rudolf Bacher’s Porträt einer Frau. Hübsch in der Zeichnung ist
Adalbert Hynais’ »Wahrheit«. Doch nähert sich das Bild im Colorit
bedenklich der Porzellanmalerei. Ein reizvolles Stimmungsbild ist
Wilhelm Bernatzik’s »Träumerei«. Viel Interesse erregen die symboli-
stischen Compositionen des Prager Künstlers Maximilian Pyrner.
Sie geben glücklicherweise nicht bloss zu denken, sondern durch ihre
anziehenden, malerischen Qualitäten auch Einiges zu geniessen. Hans
Tichy hat einige kräftige Studienköpfe beigestellt. »Der Tod der
Dryade« von Max Kurzweil löst ein coloristisches Problem mit be-
merkenswerthem Geschick. Von dem begabten Leopold Burger finden
wir ein Aquarell »Die himmlische und die irdische Liebe«, das auch
mehr zeichnerische als coloristische Vorzüge zeigt. Die Farben sind zu
wenig in Luftton getaucht und stehen als solche allzu hart neben ein-
ander. Die drei kräftigsten Talente dieser Gruppe sind Carl Moll,
Josef Engelhart und Johann V. Krämer. Ganz glücklich vertreten
ist unter ihnen nur Carl Moll. In seiner »Schlosserdiele« erreicht er
durch Licht und Luft die intimste Interieurwirkung, und die Schön-
brunner Schlossruine ist vom empfindlichsten Natursinn belebt. Engel-
hart
hat eine mehr durch Kraft als Anmuth fesselnde, aber nach

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 12, S. 474, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-12_n0474.html)