Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 482

Ein Besuch bei Johannes Brahms (Behrend, Wilhelm)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 482

Text

482 BEHREND.

Aerzten, übte eine merkwürdig belebende Wirkung auf ihn aus. So
ungern wollte er die Hoffnung fahren lassen, bis es schliesslich gar
keine Hoffnung mehr gab.

Ich bin froh darüber, dass ich diesen unglücklichen, gebrochenen Mann
nicht traf. Vor meiner Erinnerung steht Brahms in voller Gesundheit.

Körperlich jedenfalls. Denn in geistiger Hinsicht kam es mir vor,
dass trotz aller Kraft und Klarheit ein gewisser Mangel an Harmonie
und Zufriedenheit zu spüren war. Ich konnte das Gefühl nicht los-
werden, dass dieser Mann, den ich hier in seiner bescheidenen, kaum
gemüthlichen Junggesellenwohnung sah, trotz seiner Grösse nicht
glücklich war. Brahms sprach mit mir mit einer liebenswürdigen,
ruhigen Offenheit; es war keine Spur von Pose in seinem Auftreten;
aber es war auch keine unvernünftige Bescheidenheit, im Gegentheil,
man merkte sehr wohl — obschon in keiner unangenehmen Weise —
dass auf dem Grunde seines Wesens und hinter seinen Worten das
Bewusstsein seines eigenen Werthes lag. Sein Ton war der eines
älteren Mannes, der dem Jüngeren gegenüber seiner Kritik, seiner
Unzufriedenheit durch gemüthliche Ueberlegenheit Ausdruck verleiht,
und der — nicht ganz ehrlich vielleicht — zu sagen scheint: »Ja, so
thöricht geberden sich diese Menschen, mich geht es ja nicht viel an —
ich bin zu hoch und zu weit gekommen!«

Es ist ja möglich, dass ich mich irre, da ich ja nur eine kurze
Unterredung mit Brahms hatte, bei der die Bescheidenheit gegenüber
dem berühmten Manne mir gebot, seinem Worte mehr zu lauschen,
als zu versuchen, direct sein Inneres zu erforschen; aber ich weiss,
dass ich Brahms mit dem Gefühle verliess: das ist ein einsamer,
wenig glücklicher Mann trotz seines Weltrufes, trotz seiner fanatischen
Anhänger, trotz der Gesellschaft guter, aufrichtiger Freunde. Und nun,
da ich meine Erinnerungen niederschreibe, kann ich dasselbe Gefühl
nicht loswerden, das noch verstärkt wird, wenn ich an das Künstler-
leben zurückdenke, das nun abgeschlossen vorliegt.

Brahms wurde, glaube ich, unglücklich in Folge allzu grossen
Glückes. Ein merkwürdiges Schicksal in der Geschichte der Musiker!
Glück pflegt ihnen sonst nicht im Uebermasse zutheil zu werden. Auf
Brahms’ Fähigkeiten wurden während seines ganzen Lebens grössere
Wechsel gezogen, als er einlösen konnte. Und die Unzufriedenheit
entstand dadurch, dass er eine zu stolze, zu ehrliche und selbstständige
Natur war, um sich einer solchen Verpflichtung zu entziehen oder mit
unechter Münze zu zahlen. Es wurde auf seine Künstlerschultern mehr
gelegt, als sie tragen konnten. Als er noch ein ganz junger Mann
war, erfüllten sein Spiel und seine Compositionen Robert Schumann
mit ganz begeistertem Entzücken, in Folge dessen dieser sich nicht
bedachte, nach zehnjähriger Pause zur Feder des Kritikers zu greifen
und ihn zu preisen, »der nun gekommen ist, ein junges Blut, an dessen
Wiege Grazien und Helden Wacht standen. Johannes Brahms heisst
er und auch im Aeusseren hat er alle die Kennzeichen, die uns
sagen: er ist einer der Berufenen!«

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 482, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-13_n0482.html)