Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 483

Ein Besuch bei Johannes Brahms (Behrend, Wilhelm)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 483

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EIN BESUCH BEI JOHANNES BRAHMS. 483

Eine solche Siegesfanfare ging Brahms voraus, als er in die
Musikwelt eintrat. Das bürdet Verpflichtungen auf, grosse Verpflichtungen.
Trotz Schumanns Vorhersage wollte die grosse Menge doch nicht recht
diese jugendliche, düster leidenschaftliche und wild daherstürmende
Musik verstehen und sich dafür interessiren. Ueber dem Haupte des
»Berufenen« ruhte der schicksalsschwangere Segen (oder Fluch, wie
man sagen will). Er wollte auf einmal des Meisters Wort zur Wahr-
heit machen: der werden, dessen Gang durch die Welt »mit Lorbeern
und Palmen« geschmückt wird — »ein starker Streiter« — und zugleich
sein eigenes ehrliches Ich retten.

Der Weg, den Brahms ging, war die Rückkehr zu den
Classikern, fleissig und sorgfältig sich ihre Compositionsweise anzu-
eignen und darauf weiterzubauen. Das war Brahms’ grosses und
schönes Manneswerk, dem wir so viele schöne, ernste, tiefgefühlte und
tüchtig aufgebaute Arbeiten verdanken, die man, wie Spitta so
treffend sagt, »wohl nicht von einander reissen kann, in denen man
aber doch die Eisenklammern sieht und fühlt, dass Gewalt gebraucht
ist, um sie zusammen zu halten.«

Doch auch diese That durfte Brahms nicht in Ruhe ausführen.
Als er so weit gekommen war, dass seine Werke ihm einen guten und
geachteten Namen verschafft hatten, wurde er von einer Schaar Kunst-
politiker und Fanatiker ergriffen und auf einen Thron gesetzt, der am
liebsten (und so schnell wie möglich) zu gleicher Höhe mit dem auf-
gebaut werden sollte, auf dem Richard Wagner in den Augen seiner
Anhänger und allmälig auch immer mehr in denen der Laien sass.
Brahms war der Einzige, der so hoch über die Menge emporragte,
dass der Conservativismus hoffen konnte, mit ihm als Schild siegreich
zu kämpfen. Der kluge, witzige, aber bissige und kurzsichtige Hanslick
wurde sein Waffenträger. Ob Brahms anfangs froh darüber gewesen
ist, diesen Kampf kämpfen zu sollen — mit diesem Waffengenossen, und
ob er an Sieg geglaubt hat? Hat er es gethan, muss er bitter enttäuscht
worden sein, wie er die Schaar seiner Gegner wachsen und wachsen
sah, während seine eigene theils sich verminderte, theils das Gepräge
hysterischer Anbetung erhielt, die seiner gesunden Natur keineswegs
gefallen konnte.

Und hat er nicht an den guten Ausgang des Kampfes geglaubt,
ist aber doch zu muthig und treu gewesen, die Waffen niederzulegen
— wie peinlich muss es dann nicht für ihn gewesen sein, sich gleichsam
ständig selbst überbieten zu sollen, in dem Bewusstsein, dass man bei
jedem neuen Werk von ihm erwartete: nun schlägt er die grosse
Schlacht, nun ist der Sieg endlich unser! — und dann wurde vielleicht
irgend ein kleines Treffen gewonnen. Die grosse, entscheidende Schlacht
niemals!

Ob nun Brahms seine Stellung so empfunden hat, wie sie hier
geschildert ist, das weiss im Augenblick wohl kaum Jemand gewiss.
Aber wenn Fr. Nietzsche (zu stolz, um sich gegen den Verdacht zu
wehren, dass er Brahms als Wagners wahren Antagonisten betrachte)

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 483, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-13_n0483.html)