Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 498
Text
Die Mama stand mit verhaltenem Athem, den Kopf an die Wand
gelehnt, mit zerzaustem Haar. Ein seliges und unruhiges Lächeln glitt
über ihre rothen Lippen.
Die Wärterin Fedossja, mit einer etwas dummen Miene, aber eine
gute und hübsche Frau, schaute die Gnädige grinsend mit dem ihr
eigenen Ausdruck an, als sei sie einverstanden, nichts gegen die herr-
schaftlichen Grillen einzuwenden und dachte im Stillen: »Sieh nur an,
die Mutter glüht auch wie Feuer, wie so ’n kleines Kind.«
Ljoljetschka näherte sich Mamas Ecke und die Mama wurde immer
aufgeregter, sie gewann Interesse am Spiel; Mamas Herz schlug oft
und kurz, und sie schmiegte sich fester an die Wand und verdrückte
ihre Frisur. Ljoljetschka sieht in Mamas Ecke und quietscht vor Freude.
»Son da!« schrie sie laut und freudig, wobei sie das »Sch« unrein
aussprach und damit wieder die Mama erfreute.
Sie zog die Mama bei den Händen in die Mitte des Zimmers.
Beide freuten sich und lachten und Ljoljetschka schmiegte wieder ihren
Kopf an Mamas Kniee und flüsterte ohne Ende liebe Worte, die sie so
hübsch und unbeholfen aussprach.
Sergei Modjestowitsch nahte sich unterdessen der Kinderstube. Durch
die nicht fest geschlossenen Thüren hörte er ein Lachen, freudige Rufe,
ein Lärmen und Herumtollen. Kalt, aber liebenswürdig lächelnd, frisch
und kerzengerade, tadellos gekleidet, trat er in die Kinderstube und ver-
breitete um sich einen Hauch von Sauberkeit, Frische und Kälte. Er
kam herein, als das Spiel im vollen Gange war und machte Alle durch
seine klare Kälte verlegen. Selbst Fedossja wurde schamroth, halb für
die Gnädige, halb für sich selbst. Serafima Alexandrowna wurde auf
einmal ruhig und scheinbar kalt — und diese ihre Stimmung ging auf
die Kleine über, die zu lachen aufhörte und den Vater aufmerksam
und schweigend betrachtete.
Sergei Modjestowitsch liess einen flüchtigen Blick durch das Zimmer
gleiten. Alles hier war ihm angenehm: die Einrichtung ist hübsch und
elegant — Serafima Alexandrowna sorgt dafür, dass das Kind vom
zartesten Alter an nur von Schönem umgeben sei; Serafima Alexandrowna
ist geschmackvoll und zu Gesicht gekleidet — das thut sie immer für
Ljoljetschka mit derselben Absicht. Nur Eines konnte Sergei Modjestowitsch
nicht gutheissen — dass seine Frau sich fast immer in der Kinderstube
aufhielt.
»Ich wollte Dir sagen Ich wusste ja, dass ich Dich hier
treffen würde,« sagte er mit einem nachsichtigen Lächeln.
Sie traten zusammen aus der Kinderstube. Nachdem Sergei Modje-
stowitsch Serafima Alexandrowna den Vortritt in die Thür seines Arbeits-
zimmers gelassen hatte, sagte er gleichgiltig, wie im Vorübergehen und
ohne seinen Worten Bedeutung beizulegen:
»Findest Du nicht, es wäre für die Kleine nützlich, sich manchmal
auch ohne Deine Gesellschaft zu behelfen? Verstehst Du, damit das
Kind ein wenig seine eigene Persönlichkeit fühlt,« erklärte er als Ant-
wort auf Serafima Alexandrownas erstaunten Blick.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 498, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-13_n0498.html)