Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 534

Schiffer Rejersen vom »Südstern« (Hamsun, Knut)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 534

Text

534 HAMSUN.

Als die Tagesarbeit beendet war, die Yacht verankert und die
Leute in die Kojen gegangen, sass der Schiffer auf Deck und blickte
nach Wiek hinüber. Die Nacht war licht und mild, die Sonne ver-
goldete das Wasser. Er kannte jedes Riff und an alle knüpften sich
Erinnerungen, er hatte ja so ziemlich seine froheste Jugend hier ver-
bracht, jedes Jahr drei Sommermonate, wenn er hier lag und Fische
trocknete. Er war der erste Mann am Platze, schaffte sich überall,
wohin er kam, freie Bahn und setzte alles durch, was er nur wollte.
Er gieng am Sonntag zur Kirche, um auch mit dabei zu sein, wo
Leute waren, und immer sah man viele Mädchen in seinem Gefolge
auf dem Heimwege. Wenn die Fischerjugend in den Sommernächten
tanzte, dann sah man sogleich auch Rejersen, wie er in seinem Heck-
boot über die Bucht daher kam, indem er achterwärts aufrecht dastand,
mit blankgeputzten Schuhen, und der Koch oder ein anderer von
seiner Mannschaft ruderte ihn ans Land. Er tanzte wie ein Held, und
der Kajütenduft seiner feinen, blauen Kleider erregte die Mädchen.

Ja, Rejersen hatte viele Gaben; dazu war er mit allen gut
Freund; die Bursche aus Wiek räumten auch stillschweigend den
Platz, wenn er in Sicht war. Er stach sie doch stets aus, aber sie
ballten nicht die Fäuste darüber, sie giengen lieber in einen Winkel
und vergossen Thränen.

Nun hatte Rejersen eine Frau und fünf Kinder in Ofoten.

II.

Und blank liegt die See, und die Nacht kommt; aber noch
sitzt der Schiffer Rejersen da und denkt an alte Tage. Was hatte er
nicht für Mädchen gekannt. Die ansehnlichsten in der ganzen Bucht.
Im ersten Jahr war da besonders ein junges Mädchen mit dunklem
Haar und dunklen Augen, das er so gern hatte. Man sah ihn mit
dieser nun gerade confirmirten Dirne zu den unmöglichsten Zeiten
beisammen, Nachts und am frühen Morgen, wenn anständige Leute
meinten, jedes wäre für sich daheim. Als dann aber die Zeit heran-
nahte, da er fortsegeln sollte, war alles vorbei, Rejersen tanzte nicht
mehr mit ihr, sondern hielt sich an ein sehr dickes Fischermädchen
aus Ausserwiek. Sie hatte tiefe Grübchen und weisse Zähne und hiess
Ellen Helene.

Ja, die Ellen Helene!

Mit ihr dauerte es ein Jahr. Sonst pflegte es bei Rejersen nicht
ein ganzes Jahr zu dauern, und darum sagten die Leute, nun wäre
er gefangen. Rejersen gefangen! Hoho, da kannte man den Rejersen
schlecht. Aber jedenfalls bewirkte er die Lösung von Ellen Helenes
Verlobung mit dem Schmied von Wiek und es gieng so weit, dass er
sie in Aller Anwesenheit seine Liebste nannte.

Aber im Jahr darauf kam Rejersen zum Trockenplatz, die Kajüte
mit Kramwaren angefüllt, Mehl und Kaffee, Wollenstoff und Leinwand,
bis auf Fingerringe und köstlich gestickte Pulswärmer. Niemals würde
er den schönen Anblick vergessen, es war gleichsam ein ganzer Laden

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 534, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-14_n0534.html)