Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 546

Strindberg, der Bekenner (Berg, Leo)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 546

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546 BERG.

Geistes, der die Sphinx gelöst zu haben glaubte. Aber Gott straft diesen
Übermuth, wie er ihn in dem anderen Fall, Nietzsche, gestraft hat. Ein all-
gemeiner Abfall von der Wissenschaft ist die Folge. Zeichen und Wunder
geschehen, das Geschlecht der alten Gelehrten stirbt aus. Strindberg
schreit auf über diesen Erscheinungen und Qualen: »Mit Heimweh
nach dem Himmel geboren, weinte ich als Kind über die Schmutzigkeit
des Daseins (das er an einer anderen Stelle die Kothhölle nennt) und
fühlte mich fremd und heimatlos unter Eltern und Freunden. Von
Kindheit auf habe ich meinen Gott gesucht und habe den Teufel
gefunden. Ich habe das Kreuz Christi in meiner Jugend getragen und
habe einen Gott geleugnet, der sich über Sclaven zu herrschen bemüht,
über Sclaven, die ihre Peiniger lieben!«

Strindberg selbst hält sich zeitweise für wahnsinnig. Alpdrücken,
Ohrensausen, Angst vor gewissen Stunden und Erscheinungen stellen
sich immer wieder ein. Aber er ist bei klarer Vernunft, er kann arbeiten,
seine Artikel werden in den ersten Zeitschriften gedruckt. Aber irgend
etwas verfolgt ihn, man will ihn auf künstliche Weise wahnsinnig machen,
um ihn im Irrenhause verschwinden zu lassen. Das Misstrauen, das
sonst Strindberg so durchdringend hellsichtig gemacht hat, macht ihn jetzt
namenlos unglücklich. Er erschrickt selbst, wenn er bedenkt, wie wenig
dazu gehört, seinen so empfänglichen Geist zu verwirren.

Sein Kind ruft. Er reist nach Wien, wo er in seiner Schwiegermutter
und Schwiegertante zwei ähnlich gestimmte Seelen findet. Seine Stimmung
wird milder, aber die Verfolgungen hören nicht auf. Die beiden Frauen
bestärken ihn in seinen trübsinnigen Gedanken, wenn sich auch sein
alter Skepticismus zuweilen dagegen auflehnt. Du musst in Deinem
vorigen Leben ein grosser Menschenschlächter gewesen sein, sagt ihm
die Mutter. Ein andermal will man ihn damit enträthseln, dass man ihn
für Robert den Teufel hält. Gewissensbisse und Furcht nehmen seine
Seele wie zwei Mühlsteine und zermalmen sie. »Wer hat Dich
geschlagen? Frage ohne Antwort, Zweifel, Ungewissheit, Geheimnis,
da habt Ihr meine Hölle!«

Welch ein Schauspiel, dieser Kampf mit dem Teufel, am Aus-
gang unseres von der Fackel der Wissenschaft erleuchteten Jahrhunderts!

Die Erlösung ist Swedenborg. Der Ewige hat gesprochen, er
brauchte Strindberg, um sich zu offenbaren. Im Büsserkleid kehrt er
nach sechsjähriger Verbannung wieder in die Heimat zurück. Schweden,
das Land seiner Siege und Hoffnungen, ist sein Canossa. Und er findet
»Canossa auf der ganzen Linie«. Denn unter seinen Freunden und
Altersgenossen überall dieselben Erscheinungen. Swedenborg wird ihm
die Bestätigung all seiner Ahnungen. Es gibt wirklich eine Hölle,
aber hier auf Erden. Eine neue Religion kündigt sich an. Ein Gott,
bis auf weiteres unbekannt, scheint sich zu entwickeln. Die Religion
als Mysterium der modernen Wissenschaft, die Wissenschaft als über-
sinnliche Erklärung,*) vereinigen sich in Swedenborg. Die Dämonen,


*) Verlag des Verfassers: »Der Übermensch in der modernen Literatur«.
München 1898.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 546, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-14_n0546.html)