Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 547
Text
das sind die verbessernden Geister, ihre Absicht ist die Vervollkomm-
nung des menschlichen Typus, die Erzeugung des Höheren, des Über-
menschen. Die Vorsehung ist eine aus lauter Verstorbenen zusammen-
gesetzte ungeheure Verwaltung. Nehmt Euer Leiden auf Euch. Übet
selbst Eure Marterqualen, denn sie sind Eure Erhebung. Gott ver-
langt nach Euch!
So erhebt sich abermals der gebändigte, niedergebeugte Geist.
Aber noch hat er keine Ruhe. In einem Walde von Zweifeln irrt er
umher. Sein Trotz stürmt an. Dieser so ganz unzeitgemässe Hader
mit dem Überirdischen, dieser prometheische Trotz gegen die selbst-
geschaffene Gottheit ist der grossartigste wie merkwürdigste Theil der
Beichte. »Ei, was die Götter doch mit uns Sterblichen Spass und
Spiel treiben!« Alle Götter sind Dämonen geworden, auch Christus,
»der Mörder der Vernunft, des Fleisches, der Schönheit, der Freude,
der reinsten menschlichen Gefühle«. Wohin sollen sie gehen, die
Ruhelosen? Die Demüthigung vor den Menschen erweckt Hochmuth,
die Demuth vor Gott macht aus dem Nächsten einen Plantagen-
besitzer, der über Sclaven herrscht, und ist Erniedrigung. Enthalt-
samkeit heilt vor Dämonen nicht und erzeugt ungesunde Träume.
Strindberg sucht die Menschen auf und stellt sich blind gegen ihre
Fehler und Gemeinheiten; der Verrath vertreibt ihn. In der Ein-
samkeit heben die Verfolgungen wieder an. »Ich suche Gott und finde
den Teufel! Das ist mein Schicksal.«
Es gibt nur einen Trost: die Qualen als Barzahlungen für alte
Sünden zu betrachten, sie zu ertragen, sich ihrer zu erfreuen und in
der Erwartung einer neuen Religion zu leben, die die Vereinigung
aller Träume der modernen Menschheit sein wird. Der Occultismus
und die Theosophie sind nur Vorläufer dieser neuen Religion. Strindberg
freilich beginnt damit, indem er zur alten zurückkehrt, wiewohl er uns
vorher versichert hat, dass die neue Religion kein Compromiss mit
den alten Religionen sein wird, keine Epoche der Reaction uns
erwartet, »keine Rückkehr zu alten abgelebten Idealen, vielmehr ein
Fortschritt nach dem neuen«.
Diese Beichte aber soll noch etwas anderes bezwecken. Sie ist
an des Dichters Freunde und Kampfgenossen gerichtet. Sein Leben
ist nur ein Beispiel, ein Zeichen, um anderen zur Besserung zu dienen.
»Hier habt Ihr, meine Brüder, mein Menschenschicksal, eins unter so
vielen, und nun gebt mir zu, dass das Leben eines Menschen erscheinen
kann — als ein schlechter Scherz!« Der Fall Strindberg hat etwas
typisches, namentlich für die nordischen Länder. Arne Garborg hat
in seinen letzten Romanen ähnliche Selbstqualen des Gewissens dar-
gestellt.
Seine Beichte ist ein grosses, erschütterndes Drama, das der
Stolz mit der Verzweiflung aufführt. Dieser furchtbare Kampf, der
die ganze Welt aufzuzehren scheint, erinnert an die berühmten
Kämpfer mit Teufel und Dämonen aus der Zeit der Reformation,
z. B. Luthers selbst.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 547, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-14_n0547.html)