Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 554
Text
Von Wilhelm Spohr (Friedrichshagen).
In Fidus haben wir einen der seltenen Künstler, die Seele dar-
zustellen wissen. Viele wissen das, und doch konnten sie nur wenige
Bilder von ihm kennen lernen. Diese wenigen waren nicht einmal seine
besten und konnten nur durch das beschränkte Mittel der Reproduction
für sich reden. Aber Fidus’ Freunde verehren in ihm jene stille Grösse,
die ruhig warten darf, bis ihre Zeit gekommen ist und in dieser Ruhe
ausreifen kann bis zu der Reife, die für die Erfüllung ihrer hohen
Aufgaben eine Voraussetzung ist. Über einen in seinen besten Äusse-
rungen noch nicht erkannten Künstler für Leser einer Zeitschrift ver-
ständlich zu schreiben, fällt nicht leicht. Ich soll reden über etwas,
das zu keusch war, um seine Schönheit auf den Märkten feilzubieten,
die sich die Kunst errichtet hat, und zu gewaltig, als dass es seine
Kraft ergiessen mochte in kleine Kunstsächelchen, wie sie dem Publicum
genehm sind. Denn Fidus möchte einer Religion gewordenen, einer
Tempelkunst dienen, nach der das moderne Empfinden verlangt; aus
dieser Empfindung heraus entstehen auch seine Bilder, und wir dürfen
sie als einen Beweis dafür aufzeigen, dass mit dem Verlassen des
Historismus erst der rechte geläuterte Gottglaube gewonnen wird, der
alle Embleme und Reminiscenzen entbehren kann und sich zu seinen
Urformen zurückkrystallisiert. Die nackte Stimme Gottes spricht aus
Fidus’ Bildern, die unverlierbare, allen Dingen eingeborene Gewalt
Pans. Diese Stimme muss auch wohl Vielen schon aus seinen an-
spruchslosen Gestalten klingen, die unsere neuen Münchener Wochen-
schriften boten und durch die dieser Künstler den meisten unter uns
wohl zuerst bekannt wurde. Denn aus diesen keuschen, lebenathmenden
Linien, die dem Künstler bei leichtfertigen Schlagwort-Kritikern den
Titel »Backfischzeichner« eintrugen, redete etwas auf uns ein, das wir
in uns selbst als das Göttliche betrachten: eine Seele — eine Seele,
die hier in Formen sprechenden Ausdruck fand. Dem Disponierten
offenbart sich diese psychische Kraft in den unscheinbarsten Äusse-
rungen eines Genies, und so wurde mir aus den einfachen Linien des
»Backfischzeichners« die Erwartung geboren, ich werde hinter diesen
schüchternen Zeichen eines Daseins einen Meister des Allerhöchsten
finden. Ich musste nun nach weiteren Äusserungen dieses Künstlers
suchen und fand so wirklich den Meister, der bannen konnte, was
unsere Seelen aufrührt. Er bietet unseren Zweifeln Harmonie und Frei-
heit. Es spricht bei ihm aus jedem Zuge mit einer lieblichen Inbrunst
der Glaube an eine religiöse Cultur, die die eklektische Raffiniertheit
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 554, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-14_n0554.html)