Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 548

Strindberg, der Bekenner (Berg, Leo)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 548

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548 BERG.

Das dunkelste Gebiet in dieser neuen Überwelt ist der Begriff
Gottes. In den Mysterien »De creatione et sententia vera mundi«, das
freilich aus älterer Zeit stammt, ist Gott der böse Geist, der Usur-
pator und Fürst dieser Welt, über dem noch ein Übergott, der Ewige,
Unsichtbare thront. Strindberg lehnt sich gegen den Plantagen-
besitzer auf. Aber dann ist Gott wieder der Künstler, der seine Absichten
hat. Der Schöpfungskünstler mit Zwecken, ein Meister, der auch
einmal rein zum Vergnügen Zweckloses schafft (l’art pour l’art), der ein
Motiv fallen lässt, ein anderes wieder aufnimmt, Stufen überspringt
und sich schliesslich schaffend entwickelt. Er stellt unseren Dichter
auf die Probe, hat seine Pläne mit ihm, bedarf seiner und regiert
mittelst Verstorbener. Dann ist er bis auf weiteres unbekannt und
will erst werden. Gegen Ende ist der Zweck Gottes die Schöpfung des
Übermenschen. Ein andermal ist er wieder ein höhnischer Gott, der
die Menschen zum Spass quält. Dann ist er ein böser Dämon geworden.
Und der Bekenner endigt damit, die alten Furien wieder aufzurütteln:
»Wer ist der Fürst dieser Welt, der die Sterblichen zu ihren Lasten
verurtheilt und die Tugend mit dem Kreuze, dem Scheiterhaufen, mit
Schlaflosigkeit und wilden Träumen züchtigt? Welche babylonische
Verwirrung!«

Mit Zweifel und Verzweiflung, wie sie begonnen, endet die
Beichte, die wenn schon nichts anderes, der starke und wahre
Ausdruck einer tiefen und gequälten Persönlichkeit ist.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 548, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-14_n0548.html)