Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 15, S. 576
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gesprochenem Grundcharakter. Indem es ganz seinem Wesen folgte,
gab er im Gegensatz zu den Nachahmern der Engländer dem Buch-
schmuck eine Prägung, die man eine specifisch deutsche nennen kann,
Schraffierung, Ton oder sonstige Mittel, mit denen nur das Bild wirken
sollte, verbannte er und stimmte die Zeichnung auf den Charakter
des Letterndruckes. Für die Entwicklung des Buchschmuckes war das
gewiss von Bedeutung, und auch ihm brachte die Aufgabe, auf kleinem
Raume verständlich und künstlerisch sich auszusprechen, den Gewinn
des prägnantesten Ausdruckes durch das einfachste Mittel, durch die
Linie, in der Folge mit sich. Ich erwähne des bedeutenden Buch-
schmuckes zu Franz Evers’ »Hohen Liedern« (Schuster & Loeffler, Berlin).
der allein einen Aufsatz verdiente, des Buchschmuckes zu Jul. Hart’s
Gedichten (Eugen Diederichs, Leipzig), sowie der Zeichnungen zu einem
demnächst bei S. Fischer erscheinenden Balladenbuche. Erwähnens-
wert gerade bei ihrer Kleinheit sind auch die Vignetten zu Karl
Henckell’s Dichter-Flugblättern, den »Sonnenblumen«.
Im Anschauen seiner Bilder werden wir inne, dass mit ihrer
malerisch-technischen Betonung als Hauptsache zu wenig für die Er-
schliessung des Kernes gethan ist. Denn diese Bilder stellte Fidus nicht
so »nur um der Kunst willen« vor uns hin. Natürlich weist ihn seine
Bestimmung und eine tiefere Wahl auf die plastischere Sprache der
bildenden Künste; doch ihm liegt banausischer Kastenehrgeiz so fern,
dass er vielleicht, so er nur Meister desselben wäre, freudig das Wort
als Brücke für das Verständnis seiner Eingebungen benützen würde,
wenn es ihm feinere und heiligere Wirkungen verhiesse. Er knüpft
auch an seine künstlerischen Äusserungen die Hoffnung einer Er-
ziehung zur Reinheit, und so kommt er zu seiner Sehnsucht nach
einem bildnerischen Gesammt-Kunstwerk, das er als Medium der grossen
unbekannten Mächte zu den Menschen reden lassen möchte. Er gehört
zu den seltenen Menschen, denen diese Mächte das delphische Amt
der Verkündigung in die Hände legten. Wer in ihm nur den »Back-
fischzeichner« sieht, der wird verwundert sein, dass ich ihn als Gleich-
gebornen in die Kaste der Michel Angelo, Montaigne, Novalis, Emerson,
Whitman und Klinger rangire. Ich für mich muss das, und ich hoffe,
dass mir seine Kunst, seine bisherige, die nur unvollkommen bekannt
ist, und noch mehr seine zukünftige, bald auch in den Augen vieler
Verständiger das Recht geben wird, dass ich sie so hoch einschätze.
Er hat die Kraft, sich auf das Wesentliche zu concentrieren und von
der äusseren Symbolik zum Erglühen — und Tönenlassen des Kernes
fortzuschreiten; aus seinen ruhenden Gestalten kann er wie einen Blitz
den Entschluss einer zukünftigen Bewegung uns entgegenzucken lassen;
die Bewegung seiner Gestalten zeigt oft eine unerhörte Kühnheit, und
doch glauben wir an die Natürlichkeit dieser Luftsprünge: es ist die
Bewegung selbst, möchte man sagen, die Fidus da erlauscht und er-
späht hat; einmal liebt er die menschliche Geste als den Künder des
inneren Erlebnisses und entzückt uns durch die poselose Freiheit der-
selben, dann wieder zeigt er, dass er selbst dieses Ausdrucksmittels als
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 15, S. 576, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-15_n0576.html)