Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 605
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in allem etwa auf folgendes mag herausgekommen sein: Es ist mit
der Liebe ungefähr wie mit mit den Nesseln, welche nur brennen,
wenn man sie behutsam anfasst. Diese zahllosen Unglücksfälle, die die
Liebe anstiftet, könnten ganz wohl vermieden werden, wenn man erst
eine vernünftige Ansicht von ihrem Wesen hätte, und dann fest an-
packte, ohne sich durch überspannte Empfindeleien stören zu lassen.
Es gibt hysterische Frauen, die glauben, sie müssen sterben, wenn
sie nicht augenblicklich Erdbeeren, Krebse oder Strausseneier zu essen
bekommen, manche haben vollends wahnsinnige Gelüste auf Papier,
alte Nägel oder glühende Kohlen. Da ist kein anderer Rath, als sie
mit den gewünschten Raritäten vollzustopfen, bis sie genug haben, und
ebenso ist es mit der Liebe. Wieviele Herzen und Köpfe sind gebrochen
worden, weil der Peter durchaus die Hanne haben wollte und nicht
bekommen konnte. Hundert andere hätte er ohne Beschwerlichkeit
haben können, aber er wollte die Hanne oder den Tod. Hätte man
ihm die Hanne gegeben, würde er zweifellos bald eingesehen
haben, dass es sich mit einer anderen ebenso wohl oder besser leben
liesse, ja vielleicht hätte er nach drei Tagen keinen Menschen so ge-
hasst wie sie; denn es ist die Art der Liebe, gerade diejenigen auf-
einander zu reizen, die geboren sind, einander das Leben zu vergällen.
Was für ein Satan treibt die Menschen, sich aus den angenehmsten
Lockungen der Natur eine Hölle zu machen? Anstatt dass die Liebe
ein balsamisches Marmorbad wäre, in dem der staubige Leib sich
kühlte, ist sie ein Kessel voll siedenden Öles, in dem er gesotten wird.
Warum ist denn keine Wahl zwischen Unehrbarkeit oder Heirat?
Ist es ein Verdienst, sich für sein ganzes Leben mit einer fremden
Person zu behaften, um sie vielleicht zu martern oder sich von ihr
martern zu lassen bis zum Grabe? Diejenigen, die sich einbilden, nicht
ohne einander leben zu können, sollte man es doch gleich versuchen
lassen. Man sollte wenigstens einmal im Jahre, im Mai etwa, wo das
Blühen in der Ordnung ist, der Natur ihren Lauf lassen. Eine
grosse Wiese wäre während einiger Tage allen Menschen zugänglich,
wo sie sich unbekümmert ihrem Herzen hingeben und derselben
Freiheit geniessen dürften wie Schmetterlinge, Mücken und Käfer, die
sich im Kelche einer Blume paaren. Hernach würde jeder wieder
leichten Sinnes an seine Arbeit gehen und sein Liedchen pfeifen. Man
soll doch davon ausgehen, dass die Liebe eine grosse Schelmin ist,
die den Menschen ein schönes, buntes Bildchen hinhält, damit sie
danach schauen und greifen, und sie unterdessen aus ihren Taschen
holen kann was ihr beliebt. Deswegen man auf der Hut sein und sie
wiederum hintergehen sollte, anstatt sich von ihrem Eigennutz aus-
plündern zu lassen.
Von zwei Frauen erntete ich für diesen Mundvoll Dummheiten
sogleich einen lebhaften Beifall, nämlich von der kleinen Ulla und von
der Baronin Stephanie. Ja, eben diese war die erste, die das Wort
Maiwiese aussprach und Entwürfe machte, wie es denn dabei gehalten
werden könnte. Ein feines Geschöpf war sie; wenn sie in den Saal
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 605, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0605.html)