Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 606

Text

606 HUCH.

trat, war es, als ob alle elektrischen Lampen sich von selbst er-
leuchteten, so hell wurde es mit einemmale. Wo ihr stattlicher Körper
gewandelt war, stand das Gras nicht wieder auf; aber es war so viel
Wohlwollen und Mütterlichkeit in dem Schritt, mit dem sie die kleinen
Kräuter gleich völlig zu Tode trat! Sie war eine rechte Majestät, und
wenn man sie als solche gelten liess, immer bei guter Laune. Ihr
Geist war wie ein kleiner Hercules, dessen Arme beständig darauf
gespannt sind, einige Schlangen zu erwürgen. Sie hatte ein Volk
träger Barbaren zu civilisieren haben sollen wie Katharina die Grosse.
Der arme Baron Leo, der nichts war als hübsch, tapfer, leichtsinnig
und gutartig, gab ihr nichts zu thun; er war wie eine einzige Bohne
in die Kaffeemühle einer Riesenküche geworfen. Aber lieb hatte sie ihn;
und wenn sie, was sie öfters that, leichtfertige oder kaltherzige Reden
führte, that sie es eigentlich nur, um ihn zu bestrafen, dass er diesen
äusserlichen Geberden glaubte und ihr Herz nicht besser kannte, das
ihm in unweigerlicher Treue ergeben war. Was nun die Maiwiese
betrifft, so traf dieser Anreiz damit zusammen, dass es eine kühne,
abenteuerliche Unternehmung war, und sie konnte mich nicht genug
wegen des staatsmännischen Einfalls loben. Die Liebe, sagte sie, spiele
eine viel zu grosse Rolle im modernen Leben. Die Alten hätten einen
viel freieren Geist gehabt, weil sie ihn nicht damit belastet hätten.
Man müsse die Liebe auf eine gewisse Zeit beschränken, sich aus-
rasen, um hernach wieder unbehelligt zu sein. Dadurch würde viel
Kraft für die Culturarbeit gewonnen werden. Die Ehe müsse ja aus
diesen und jenen Gründen bestehen bleiben, aber wenn man dem Geist-
gotte diente, sollte man nicht vergessen, bisweilen auch den alten Natur-
göttern zu opfern, damit sie nicht furchtbare Rache nähmen. Die
kleine Ulla sagte nichts, aber in der Tiefe ihrer Augen konnte man
die ganze Maiwiese blühen sehen, wo sanfte Gestalten mit feurigem
Antlitz Arm in Arm geschlungen wandelten. Die Männer, denen nichts
abgieng, da sie stets eine ehrbare Ehewelt und eine andere voll dreister
Freuden nebeneinander gehabt hatten, machten saure Mienen oder
lächelten mitleidig und würdevoll. Womit sich das Gespräch im Sande
verlaufen haben würde, wenn Prinz Asche nicht davon besessen worden
wäre. Besessen war er in der That, und ich möchte den Heiligen
sehen, der dieses Teufelaustreiben bewältigt hätte. Bis dahin hatte
er sich über Frauen und Liebe wenig geäussert, oder denn mit einer
anmuthigen Pedanterie, denn er war reinlich von Gesinnung, ja beinahe
zimperlich zu nennen. Da er nun doch seine Unterthanen und nächste
Umgebung in einem so wichtigen Punkte nicht unbelehrt lassen konnte,
empfahl er kurzweg Heiratslust und Gattenliebe, brandmarkte jede Ver-
letzung der Ehe als Blasphemie und bereitete sich selbst auf eine
Musterehe vor, die er dem Volke vorbildlich darzustellen im Sinne
hatte. Man hätte also füglich erwarten dürfen, dass er das Geschwätz
von der Maiwiese gleich im Keime erstickte, wohingegen er still und
in einiger Unruhe zuhörte, da augenscheinlich die Idee anfieng, sich
seines Geistes zu bemächtigen. Mehrere Tage lang durchkaute er sie

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 606, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0606.html)