Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 608
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mehrere Vereine zur Hebung der Sittlichkeit und Bekämpfung der
Maiwiesen-Grundsätze, und man konnte zu jeder Zeit feste Männer
mit Ernst und Wichtigkeit in die Wirtshäuser eilen sehen, wo die
Versammlungen abgehalten wurden. Sie hielten Reden, welche
von Gemeinplätzen strotzten, und beschmierten und begossen jeden
Fetzen Papier mit ihrer faden, dünnfliessenden, fettaugigen Moral,
so dass ich mich nicht genug verwundern konnte, mit wieviel Dumm-
heiten und Gemeinheiten sich eine vernünftige Sache vertheidigen lässt.
Das Ergebnis dieser Revolution war, dass eine Abordnung an Prinz
Asche beschlossen wurde, um gegen die Maiwiese zu petitionieren.
An der Spitze derselben stand ein gewisser Commerzienrath oder, wie
ich ihn für mich nannte, Ober-Makkabäer, dessen natürlicher Beruf es
war, das Staatswesen zu retten. Bei dieser Beschäftigung hatte er
sich ein heroisches Auftreten erworben, das ihm, der sonst ein runder,
freundlicher Mann war, gewissermassen auf einen Sockel hob. Er trat
auch ganz unerschrocken in das Audienzzimmer, warf ein Auge voll
ehrerbietigen Mitleidens auf den wahnsinnigen Fürsten, mit dem anderen
versuchte er mich, als dessen bösen Dämon und Umgarner, niederzu-
blitzen. Ich hatte mir nämlich vom Prinzen erbeten, bei der Unter-
redung anwesend sein zu dürfen, und wirklich war es kein kleines
Vergnügen, die beiden Widersacher einander gegenüber zu sehen,
meinen schlanken Prinzen und den appetitlich blühenden Makkabäer.
Prinz Asche mit dem kinderhaft unsicheren Lächeln, womit er unwill-
kürlich seine Majestät zu verhüllen und den zitternden Unterthan
sicher zu machen suchte, der andere breit und fest auf den Boden
gegründet, die Brust bis oben voll von Gerechtigkeit und den edelsten
Gesinnungen. Ohne Zaudern feuerte er seine Sache geläufig in
stolzierenden Ausdrücken, wie eine Salve von Bomben und Granaten
auf den Prinzen ab, der aber aufrecht vor seinen Gegnern stehen blieb,
ein feiner, stolzer Sonnenstrahl, den solche plumpe Geschosse nicht
treffen können. Als er nun seinerseits anfieng zu sprechen und die
scharfen, schneidenden Worte wie lauter Pfeile von seinen hochmüthigen
Lippen schnellte, öffnete der Volksmann seine Augen weit und suchte
die Worte, wie wenn ihm mit einemmale das ganze ABC aus dem
Kopfe gefallen wäre. Überhaupt konnte man bald bemerken, dass unter
seiner strahlenden Oberfläche eine unbewusste Unruhe bebte, es könne
ihm etwa so gehen wie Alladins Schwiegervater, der eines Morgens,
als er ans Fenster trat, wahrnehmen musste, dass das ganze Pracht-
schloss und Glücksgebäude, das er gegenüber zu sehen gewohnt war,
über Nacht verschwunden war. Wenn ihn ein Einwurf aus dem Zu-
sammenhang seines Redens brachte, sah er aus, als ob er soeben ent-
larvt und überwiesen wäre, alle seine Orden, Titel und Ämter erschwindelt
zu haben, doch gab er sich nach kurzer Pause jedesmal wieder einen Schwung
und wiederholte dasselbe, was er vorher gesagt hatte, was die hinter
ihm aufgestellten Männer, als ihnen vertraut und verständlich, mit
beifälligem Murmeln zu begleiten pflegten. In dieser Weise steigerte
sich der Zweikampf, bis Prinz Asche einen Haupttrumpf auszuspielen
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 608, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0608.html)