Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 609
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dachte, indem er sagte, er hoffe, dass die gewährte Freiheit dem
schändlichen Handel mit Liebe, der unsere Cultur befleckte, ein Ende
machen werde. Ob sie nicht lieber wollten, fragte er, dass ihre Söhne
ihre jungen, brausenden Gefühle mit einem guten liebenden Mädchen
theilten, als dass sie sie erstickten und vergifteten in den Häusern
des Lasters. Dieser Angriff auf die Heiligkeit des Bestehenden wirkte
aber gerade umgekehrt als der Prinz erwartet hatte, indem er den
Makkabäern ihre ganze Überzeugung und Zuversicht zurückgab: der
Commerzienrath nahm eine Haltung an, als stände er vor dem Herde
seines Hauses voll Hausgötter, Laren und Manen und erwartete den
ruchlosen Feind. Prinz Asche aber, der bis dahin im Grunde nur mit
sich und den andern etwas Theater gespielt hatte, gerieth nun in echten
Zorn und wurde dadurch erst recht gewaltig und furchtbar, sowie
Dietrich von Bern seiner Gegner unweigerlich Herr wurde, wenn ihm
der Athem in Flammen aus dem Munde zu schlagen anfieng. Je
weniger er gewohnt war, stark und hinreissend zu empfinden, desto
lieber wärmte er sich an dem göttlichen Wuthfeuer in seinen Innern
und stand seinen Widersachern so gesund, stolz, glücklich, ernsthaft
und herrlich gegenüber, dass er mich an die Davide und St. George
erinnerte, wie sie die Künstler der Renaissance bildeten, fromme Heilige
mit antiken Leibern, jungen und schönen.
Entschieden wurde der Streit zwar dadurch nicht, aber die Folge
war, dass die beiden Feinde einander liebgewannen, in der Weise, dass
der Commerzienrath sich mit der Anhänglichkeit eines geprügelten
Hundes an den Prinzen klammerte, und dieser nicht lassen konnte, an
dessen formlosen und weichlichen Seelenteige zu kneten und zu modeln.
Dass alles beim alten und jeder bei seinen Ansichten verblieb, machte
den Prinzen nicht irre, vielmehr fühlte er sich durch die Bearbeitung
dieses feuchtelastischen Lehmes so angenehm beschäftigt, dass er die
ganze Maiwiese als eine beiläufig zu behandelnde Nebensache anzusehen
anfieng. Auf Anfrage der Bürgerschaft, ob der Besuch der Maiwiese
nur solchen gestattet sei, die sich ausdrücklich zu freier Liebe ver-
pflichteten, erklärte der Prinz, auch die Gegner seien willkommen,
sofern sie nur nicht die Anhänger in ihrer Festfreude störten, ja um
jedes Ärgernis zu vermeiden, sollte einer jeden Partei die Hälfte des
Parkes eingeräumt werden. Durch diese Theilung gewann es den
Anschein als handle es sich eigentlich nur noch darum, welches Ver-
gnügungscomité das stattlichste Fest zuwege bringen würde, und die
beiden Häupter suchten sich durch die unerhörtesten Veranstaltungen
auszustechen, wobei sie sich so geberdeten und auch ersichtlich so
vorkamen wie bedächtige Personen, die eine sehr vernünftige und
wichtige Sache zum besten des Volkes ausführen.
Seinen Grundsätzen gemäss traf nun der Prinz die Verordnung,
dass auf der Maiwiese weder Wein noch Bier noch andere Spirituosen
sollten getrunken werden dürfen, da die Tage zwar der Liebe, keines-
wegs aber der Genusssucht gewidmet seien. Diese Anordnung erneuerte
den Aufruhr in verdoppeltem Grade und liess die freie Liebe vollends
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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 609, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0609.html)