Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 610
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in den Hintergrund treten. In zahllosen Audienzen beschwor der Com-
merzienrath den Prinzen, dem Volke nicht die Säulen unter dem Leibe
wegzuziehen, auf denen sein Glück ruhe, ihm nicht die Quellen zu
verstopfen, woraus es sich Labung schöpfe; worauf der Prinz empfahl,
man solle sich an edlen Gesprächen erquicken und mit Betrachtung
von Kunstwerken entzünden; worauf der Comrnerzienrath wiederum
den Prinzen anflehte, kein Antiochus oder Kambyses zu sein, der das
Volk seiner heiligsten Güter beraubt, um sich an seinem Jammer zu
weiden. (Seit welcher Zeit ich den Comrnerzienrath für mich den Ober-
Makkabäer benannt habe.) Das Ende war, dass der Prinz diesem
bewilligte, sich mit den seinigen auf ihrer Maiwiese in Gottes Namen zu
Tode zu trinken, welche Botschaft, als ein Funken unter die Menge ge-
worfen, sich in wenigen Minuten zu einem unermesslichen Freudenfeuer
ausdehnte. Wie ein beliebter Schauspieler nach einer Erstaufführung den
frenetischen Beifall des Publicums mit feinem Lächeln und einer lässigen
Handbewegung auf den im Hintergrunde sich krümmenden Dichter
ablenkt, wies der Commerzienrath, als ihn die Huldigungen der Menge
umbrausten, auf die Gnade des Prinzen hin, welcher eigentlich alles zu
verdanken sei. Dies bewirkte einiges Hochrufen auf den Prinzen, und
man kann wohl sagen, dass nunmehr alle, abgesehen von wenigen
Weisen, die als Duckmäuser und Feiglinge verlacht wurden, sich auf
die Maiwiese wie auf einen noch nie dagewesenen Glückszauber
freuten.
Wahr ist, dass es eine rechte Maiwonne war, als ich an jenem
Morgen mit dem Prinzen und Reine durch den Park gieng, um alles
in Augenschein zu nehmen. Auf dem glatten, goldgrünen Rasen waren
seidene Zelte aufgespannt, die aussahen wie ganz aufgeblühte Rosen
oder Päonien; weisse, erdbeerfarbene, burgunderrothe und andere mit
grossen springenden Mustern, auch golddurchwirkte, die sich in dem
durchdringenden Sonnenschein aufzulösen schienen. Da es in dem nach
englischer Art angelegten Garten keine Blumen gab, stand dieser
künstliche Flor ihm wohl an, und wenn das Auge sich so recht davon
vollgetrunken hatte, wanderte es gern über den gleichförmigen Rasen,
der von braunen Wegen durchschlängelt sich unabsehbar verbreitete.
Hie und da verdunkelten ihn dickes Gebüsch und einzeln stehende
Pappeln, Eichen und Linden, deren umfangreiche Zweige dicht über
dem Grase schwebten und einen kreisförmigen Schatten darauf warfen.
Aber man muss denken, dass viele Bäume blühten; denn es war der
erste Mai. Ich besinne mich auf ein Haselnussbäumchen, das ganz
voller Blüten hieng, gelbwollige, die man Schäfchen heisst. Und da
Reine, während wir stehen blieben, um es zu betrachten, einen Zweig
davon brechen wollte, stäubte von dem erschütterten Stamme eine
Wolke leichten Goldes in die Luft und über sie hin. Ich sagte:
Bäumchen rüttel dich, Bäumchen schüttel dich, wirf Gold und Silber
über mich! da ich mich des altbekannten Märchens erinnerte und sie
in ihrer Schlankheit und träumerischen Glückseligkeit so lieblich unter
dem Frühlingsbaume stand, dass der Prinz in diesem Augenblick sein
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 610, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0610.html)