Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 611
Text
ganzes Fürstenthum wie einen Pfifferling unter die Füsse getreten
hätte, wenn sie dafür die seine geworden wäre. Wenigstens ich sah,
dass er es sich einbildete.
Um die Mittagszeit fieng eine unermessliche Menge Volkes an
hinauszuströmen. Etwas später, als es kühler wurde, kam ein Häuflein
Gesinnungstüchtiger, die durch entrüstetes Davonrauschen beim Einbruch
der Dämmerung ihre Missbilligung bekanntmachen wollten. Gerade
um die Zeit traf der Hof ein.
Die Abtheilung der Makkabäer hatte etwas von Schützenfesten
und Vogelwiesen: Gläsergeklirr, Gedröhn von Männerstimmen und
Weibergekicher durchdrangen sich mit Bierdunst und Fettgerüchen zu
einem üblen Gemenge. Nicht unmalerisch waren die lustig züngelnden
Feuerstellen zu sehen, an denen rothbestrahlte, festliche Mädchen geschäftig
waren mit Rösten und Braten. Diese Plätze waren ganz umlagert von
jungen Männern, die ihre Bierfässer dahin gewälzt hatten und verliebte
Scherze machten; in einem Hühnerhof oder Gänsekäfig hätte das Schnattern
und Gackern nicht ärger sein können. Es gab auch einige bretterne
Tanzplätze, wo Musikbanden gefühlvolle Walzer und wilde Gallopaden
spielten. An einem mit dicken Guirlanden bekränzten Tische sass der
Commerzienrath, fest und glühend wie ein Leuchtthurm, und flocht
eine Rede an die andere mit Schlagwörtern von Bürgertugend, wahrer
Liebe und Sittlichkeit, die sich wie platzende Feuerraketen in maje-
stätischem Bogen weit über den Festplatz schwangen. Ich glaubte so
deutlich ein Kränzlein kichernder Amoretten über seinem Haupte tanzen
zu sehen, irrlichterähnlich das Auge täuschend, dass es mir schien,
als ob auch die jungen Leute, wenn sie kamen, um mit dem Redner
die Gläser anzuklingen, dorthin blickten und verstohlen lächelten.
Als ich von meinem Besuche bei den Makkabäern nach der
eigentlichen Maiwiese zurückkehrte, da es gegen Mitternacht sein mochte,
war es dort ganz still. Ich konnte deutlich das Rascheln der seidenen
Frauenkleider hören, die langsam über das kurze Gras schleppten,
denn einige müde Paare giengen noch schweigend auf und ab. Aus
den Zelten, die in der anhauchenden Nachtluft zu athmen schienen,
hörte ich im Vorübergehen ein unbeschreibliches Rauschen und Knistern
tönen, ein unkörperliches Geräusch möchte ich sagen, wie von Küssen
und Champagnerschäumen; die Herren hatten nämlich einige Sect-
flaschen eingeschmuggelt, die in verstohlenem Übermuth getrunken
wurden. Sie konnten sicher sein, von dem Prinzen nicht ertappt zu
werden. Unter den Cypressen, wo eine hohe Pyramide von Orangen
aufgeschichtet war, wie denn überall Haufen der köstlichsten Früchte
mit Blumen bedeckt sich befanden, die jetzt zum Theil umgeworfen
und über den Rasen zerstreut waren, sass er neben Reine, der man
es eben nicht ansah, dass ihr die ganze Maiwiesen-Theorie ein Greuel
war. In dem Augenblick, als ich auf die Lichtung trat, die von einer
elektrischen Lampe hell gemacht wurde, sah ich, wie sie dem Prinzen in
der geöffneten Hand eine Orange hinhielt, deren Schale in Form eines
Sternes geschnitten war, und ihn dabei mit Augen und Lippen lächelnd
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 611, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0611.html)