Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 618
Text
Savonarola’s Busspredigten stärkte und in einer rings von heidnischen
Genussfreudigkeit strotzenden Zeit sich ängstlich und wie Rettung
suchend an die letzten Helden mittelalterlicher Kirchengläubigkeit
klammerte, verkörpert in seiner Kunst den letzten Weckruf christlicher
Andacht, von Hoffnung halb und halb von banger Ahnung durch-
zittert. Er steht auf der Scheide zwischen Klostermalerei und weltlicher
Kunst. Es ist als schaute er durchs enge Fensterlein einer Mönchs-
zelle hinaus ins Freie, wo die blühende Natur schon den Geist des
Cinquecento laut verkündet. Ganz anders Burne-Jones. Von religiöser
Glaubenskraft losgelöst, ist er nur der stille Priester der Schönheit,
dessen Blick in die Vergangenheit taucht. Seine Kunst, der Wehmuth
zarte, spätreife Frucht, die äusserste Lyrik. Des Florentiners Naivität
der Formengebung, welche selbst im Fehlerhaften das Zukünftige ver-
spricht, die Eingebung, die nur intuitiv schaffen kann, bei Burne-Jones
wird sie zum raffinierten Wissen. Alles ist gewollt, gekonnt, überlegt.
Damit soll nicht gesagt sein, dass diese Reflexion ohne inneres Fühlen
ist. Aber sie beruht auf einer Empfindung des Gehirnes mehr als auf
Blut und Temperament.
Hinsichtlich der Kraft und Reinheit der Farbe kann sich der
Brite mit dem Italiener nicht messen. Bei dem Ahnen klare Tiefe,
feingestimmte aber volle Streichmusik der Geigen und Violen; bei
dem Epigonen gedämpfte müde Harmonien, wie vom Zephyr berührte
ferne Äolsharfen. Die differencirten Nerven vermögen die Reinheit
der Farben nicht mehr zu ertragen und vermeiden unwillkürlich die
leuchtende Klarheit.
Das ist es, was die Mystik des Neuidealismus im Ausgange des
19. Jahrhunderts von der des Quattrocento unterscheidet. Sie beruht
auf einer unendlich verfeinerten Ästhetik der Sinne und Nerven,
welche an Stelle der frommen Gottinnigkeit und Himmelssehnsucht
getreten ist, deren letzter Vertreter Botticelli war.
Noch einen andern Mystiker der neuen Kunst lernten wir kürzlich
hier kennen: Fernand Khnopff. Am Schlusstage der Secessions-Aus-
stellung stand ich vor seinem herrlichen Bilde »La Caresse«, das mit
dem »Pantherweib« die Verkörperung des höchsten, wollüstigen
Triumphes in nie übertroffener Vollendung darstellt. Mein Freund
Rudolf Klein, der von Düsseldorf nach Wien gekommen war, um die
Ausstellung zu sehen, begleitete mich. »Das ist keine englische, keine
prärafaelitische Mystik mehr,« sagte er, »Khnopff ist fleisch-
gewordene Mystik«. Um dieses Wort habe ich ihn beneidet, denn
es drückt den Unterschied zwischen dem Belgier und dem Engländer
am treffendsten aus. Auch bei Rossetti zeigt sich noch die südliche
Abstammung in der »fleischgewordenen Mystik« seines Frauentypus.
Solche Frauen treten dem Künstler wie ein Fatum in den Weg,
indem sie sein ganzes Schaffen monopolisieren, im Guten und Bösen
den Inhalt seines Denkens bilden; es sind die, welche unter Tausenden
das geträumte Ideal verkörpern, fleischgewordene Heilige. Und wie
unter Tausenden nur ein Ideal, so ist für den Künstler das eine Ideal
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 618, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0618.html)