Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 648

Zur Kritik des Marxismus (Schmitt, Dr. Eugen Heinrich)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 648

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648 SCHMITT.

Die ganze Menge dieser Experimente, dieser Gründungen com-
munistisch-socialistischer oder auch anarchistischer
Colonien
, die wir hier natürlich in den Einzelheiten nicht verfolgen
können, liefert den Nachweis, dass solche Versuche, sofern sie
auf blosser ökonomischer Grundlage
, auf wesentlich
wirtschaftlicher
, materialistischer Basis unternommen
und auch durchgeführt worden sind
, selbst unter den
günstigsten äusseren Bedingungen schliesslich schmäh-
lich gescheitert sind und infolge von Arbeitsunlust und
inneren Zwistigkeiten auch zu materiellem Ruin führten
.
Beispiele hiefür sind: Die Colonien der Owenisten, Ikarien, Cäcilia
in Parana, die australischen Colonien und Neuaustralien in Paraguay
u. s. w. Der enthusiastische Anfang und die anfangs in die Welt
posaunten Erfolge, die günstigsten Umstände (bei Cäcilia besonders
lehrreich: die ausserordentlich günstige Lage der Colonie, die Unter-
stützung der Regierung und der Nachbarn) retteten diese materialistisch
geplanten Colonien nicht von der traurigsten Selbstauflösung. In sich
selbst ganz sinnlos und daher auch durch keinerlei positive Thatsache
zu bestätigen ist nun die schlechte Ausfluchte der Socialdemokraten und
der materialistischen Anarchisten, dass solche Experimente im Kleinen
zwar misslingen, jedoch im Grossen und international geplant, ge-
lingen müssten, da sich im engeren Kreise viel leichter gemüthlicher
Zusammenhalt und Brüderlichkeit schaffen lässt, als dort, wo die in
ihrem Interessenkampf sich gegenüberstehenden Gruppen durch riesige
Ferne getrennt sind.

Dagegen zeigt eine andere Reihe von Versuchen, dass alle auf
religiöser Basis unternommenen Gründungen solcher
Colonien gelingen in dem Masse
, als der religiöse Geist
kräftig ist und auch unter den ungünstigsten Verhält-
nissen zu materieller Blüte führten
. Beispiele hiefür sind die
Mormonen, die von der Regierung und den Nachbarn, wilden
Indianerstämmen, verfolgt, in einer steinigen Wüste am Salzsee ein
Paradies schufen und eine Stadt mit prächtigen Bauten. Ferner die
sonstigen religiösen, communistischen Gemeinden in Nordamerika, die
Shakers, die Harmonisten, Zoar, die Aurora und Bethel-Gemeinde,
Amana, die Bishop Hill-Gemeinde. Sehr lehrreich ist bei der letzteren
Gemeinde der Umstand, dass eine Gruppe jüngerer Elemente, die sich
von der religiösen Basis der Colonie lossagte und eine gesonderte
Gemeinde gründen wollte, in kurzer Zeit materiell elend niedergieng.
Ein Beispiel ist hier schliesslich die gleichfalls communistisch orga-
irisierte Jesuitenrepublik in Paraguay, die inmitten des Urwaldes eine
blühende Cultur schuf, deren Ruinen den Wanderer noch heute mit
Bewunderung erfüllen.

So wie die Erklärung des Menschenwesens und der Menschen-
cultur auf einseitig materiell-ökonomischer Basis eben das Wesentlichste
vergisst: das Brot des Geistes (denn nicht bloss vom Brote lebt der
Mensch, sondern auch vom kulturschöpferischen »Worte« des Geistes),

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 648, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-17_n0648.html)