Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 651
Text
Von Ch. v. THOMASSIN (München).
Nachdem bereits mehrere unserer grossen Denker — Schelling,
Hegel — dem »Philosophus Teutonius« ein geistiges Denkmal gesetzt
haben, soll demselben nunmehr am Ende des 19. Jahrhundertes noch
eine äussere Ehrung zutheil werden, indem die Bewohner von Görlitz
das Andenken des Theosophen durch die Errichtung eines Standbildes
in ihrer Stadt wahren wollen.
Früher hat man dem verachteten, philosophierenden Schuster nicht
einmal die Achtung gezollt, die er wenigstens als edler Mensch und
Bürger verdient hätte. Der Görlitzer Pöbel bewarf schon kurze Zeit
nach seinem Tode das auf seinem Grabe errichtete Kreuz mit Koth
und riss es aus. Als sodann später ein Todtengräber ein gezimmertes
Kreuz mit der Inschrift: »Jakob Böhme der Quaker« auf das Grab
setzte, wurde es auf Befehl des Rathes wieder entfernt und der duld-
same Mann ins Gefängnis gesetzt, wo er in pessimistischer Stimmung
zu einem Besucher sagte: »Was weiss ich, ob er ein Quacker oder
ein Frosch gewesen.«
Erst anfangs dieses Jahrhunderts bemühte man sich wieder um
ein ehrendes Grabdenkmal für den »Ketzer,« aber vorerst ohne beson-
derem Erfolg, bis anlässlich der 300-jährigen Gedächtnisfeier im Jahre
1875 endlich den längst geäusserten Wünschen entsprochen wurde.
Die Ehrung Böhmes, die dieser Gedächtnisfeier folgen soll, stellt
seine Gestalt wieder in den Vordergrund des Interesses und es ist
deshalb naheliegend, auf Grund neuer Forschungen den Lebensgang
dieses merkwürdigen Mannes, seine Lehre und ihre Fortentwicklung
zu betrachten.
Jakob Böhme wurde im Jahre 1575 zu Altseidenberg, einem
Dorfe bei dem Städtchen Seidenberg in der Oberlausitz, unmittelbar
an der böhmischen Grenze geboren. Sein Geburts- und Tauftag kann
nicht mehr bestimmt werden, da die Kirchenbücher von Seidenberg erst
mit dem Jahre 1630 beginnen.
Er stammte aus einem Geschlechte, das nach dem Namen, der
auch Behme, Behem, Bheme, Böhm, Behmer und Bohem geschrieben
wird und der Nähe der böhmischen Grenze zu schliessen, seinen
Ursprung in Böhmen hatte. Seine Eltern waren wohlhabende Land-
leute, die ihm in der Stadtschule zu Seidenberg einen verhältnismässig
guten Schulunterricht geben liessen. Über seine Knaben- und Jüng-
lingszeit ist sehr wenig bekannt, abgesehen von sagenhaften Erzählungen
seines Biographen Frankenberg über Erlebnisse, die auf seine spätere
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 651, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-17_n0651.html)