Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 652

Jakob Böhme (Thomassin, Ch. v..)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 652

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THOMASSIN. 652

seelische Entwicklung Bezug haben. Dazu gehört z. B. der Bericht,
dass der kleine Jakob den Schatz in der Landskrone, einem mehr als
vier Stunden von Altseidenberg entfernten Berge, als er des Vaters
Herde dorthin trieb, gesehen habe, nachdem dieser sich seinem
geistigen, stoffdurchdringenden Hellblick geöffnet. Obgleich Böhme als
jüngster Sohn der rechtmässige Erbe der väterlichen Güter war,
bestimmten ihn seine Eltern wegen seiner Schwächlichkeit, die ihn
zum Betriebe der Landwirtschaft untauglich erscheinen liess, zum
Handwerkerstande. Er trat mit 14 Jahren seine Lehrzeit bei einem
Schuster in Seidenberg an (1589) und erwarb sich mit 24 Jahren (1599,
nicht 1594, wie Fechner in seinem Werke über Böhme gegen Franken-
lberg nachgewiesen hat) das Meisterrecht in Görlitz. Schon während
seiner Knabenzeit zeigte sich bei dem Theosophen ein natürlicher Hang
zu religiöser Verinnerlichung. Vielleicht ist derselbe mit gewissen
Familientraditionen in Zusammenhang zu bringen, da auch Böhmes
Vater mystischen Lehren angehangen haben soll und überdies in
seinem Heimatsorte das Ehrenamt des Kirchvaters inne hatte.

Frankenberg behauptet aus dem Munde des Theosophen folgende
Erzählung eines mystischen Erlebnisses desselben vernommen zu haben,
das angeblich einen dauernden Eindruck in ihm hinterliess. Während er als
Lehrling irgendwo bei einem Schuhmacher beschäftigt war, soll ein
geheimnisvoller Fremdling ihn zu sich gerufen, ihn bei seinem Tauf-
namen genannt und zu ihm gesagt haben: »Jakob, Du bist klein,
aber Du wirst gross und gar ein anderer Mensch und Mann werden,
dass sich die Welt über Dir verwundern wird. Darum sei fromm,
fürchte Gott und ehre sein Wort. Insonderheit lies gerne die heilige
Schrift, darinnen Du Trost und Unterweisung hast. Denn Du wirst
viel Noth und Armut und Verfolgung leiden müssen. Aber sei getrost
und bleibe beständig. Denn Du bist Gott lieb und er ist Dir gnädig.«
Diese Begebenheit wurde von einigen neueren Biographen, wie Fechner
und Harlep (Böhme und die Alchymisten. Berlin. Schlawitz. 1870) als
eine natürliche Mahnung des frommen Knaben von Seite eines Fremden,
der viel Gutes von ihm gehört hatte, aufgefasst, während Martensen
dieselbe in seinem Werke als eine Begegnung mit einem andern
Mystiker zu erklären sucht. Die Seelenstimmung des Knaben, welche
die Folge derselben war, wollte seinem Lehrmeister gar nicht gefallen
und er jagte ihn deshalb fort, weil er einen solchen Hauspropheten
nicht leiden konnte.

Der Theosoph betrieb sein Gewerbe nur wenige Jahre und hatte
sich bald infolge seines Fleisses so viel Vermögen erspart, dass er
sich ein Haus kaufen konnte. Er entsagte demselben im Jahre 1613,
veranlasst durch seine Gönner, die ihm öftere Unterstützungen zu-
kommen liessen, damit er sich ganz der Vollendung seiner Werke
widmen konnte. Er nahm längeren Aufenthalt auf den Gütern der-
selben, wie in Weicha bei Rudolf von Gersdorff, in Lazan bei
Christian Bernhard, u. a. Aber trotzdem stellte sich manchmal
die Noth bei ihm ein, so dass er im Jahre 1619 einem Freunde

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 652, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-17_n0652.html)