Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 653

Jakob Böhme (Thomassin, Ch. v..)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 653

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JAKOB BÖHME. 653

im vierten seiner Sendbriefe klagte, er wisse keinen Rath, den
irdischen Leib mit Weib und Kind zu ernähren, wolle aber das
Himmlische vor alles setzen, so viel ihm möglich wäre. Zur Ver-
besserung seiner Lage trieb er einige Jahre lang einen Handel mit
wollenen Handschuhen, die er jährlich einmal im Herbst nach Prag
zum Markt brachte; mitunter ergriff er auch wieder sein Handwerkzeug.

Er lebte 25 Jahre lang in glücklicher Ehe mit seiner Frau, die
mit sechs Kindern gesegnet wurde.

Die Anlage zu ekstatischen Umständen scheint sich bei Böhme
schon früher gezeigt zu haben. Wenigstens behauptet er, bereits einmal
während seiner Wanderjahre mitten unter seiner Arbeit in einen
Zustand seliger Ruhe versetzt worden zu sein, in einen »Sabbath der
Seele«, der sieben Tage währte und in dem er sein Inneres wie um-
flossen vom göttlichen Lichte sah, während äusserlich nichts an ihm
zu bemerken war. »Welch ein Triumphieren damals in meinem Geiste
war«, so schreibt er hierüber, »kann ich nicht sagen noch beschreiben.
Ich kann es nur vergleichen mit der Auferstehung von den Todten.«

Bekanntlich soll ein äusserer Unfall auf die Entwicklung des
»Somnambulismus« bei Böhme eingewirkt haben. Er soll einmal in
Verzückung gerathen sein, als er auf ein blankgeputztes Zinngeschirr
blickte. Man braucht wohl nicht darauf hinzuweisen, dass diese Be-
hauptung an die Berichte über die Wirkung der alten »Zauberspiegel«
zur Hervorbringung des somnambulen Schauens und über die modernen,
hypnotischen Experimente, welche mit Starrenlassen auf Krystall und
funkelnde Gegenstände angestellt werden, erinnert.

Übrigens hat Böhme seine angeborne Fähigkeit zur Ekstase auch
durch eine fortwährende Concentration und Verinnerlichung seines
Seelenlebens entwickelt, und zwar ganz nach Art anderer Mystiker.
»Ich nahm mir auch vor«, so schreibt er hierüber, »mich in meiner
angeborenen Gestalt für todt zu halten, bis dass Gottes Geist in mir
eine Gestalt kriegte, und ich ihn ergriffe, auf dass ich durch ihn und
in ihm mein Leben führen möchte. Auch nahm ich mir für, nichts
zu wollen, was ich nicht in seinem Licht und Willen erkannt. Er
sollte mein Willen und Thun sein, welches zwar mir nicht möglich
war und dennoch in einem ernsten Fürsatze stund und in gar ernstem
Streit und Kampf wider mich selber. Und was allda geschehen sei,
soll wohl niemand als Gott und meine Seele wissen, denn ich wollte
mich eher des Lebens erwegen als davon ablassen. Rang also in
Gottes Beistand eine ziemliche Weile und Zeit ums Ritterkränzlein,
welches ich hernach mit Zersprengung der Thoren der Tiefe im Centro
der Natur mit grossen Freuden erlangte, da meiner Seele ein »wunderlich«
Licht aufgieng, was der wilden Natur fremd war.« (Apologie gegen
Tilke. 20, 26).

In diesem Lichte sah nun »sein Geist«, wie er an anderer Stelle
sagte (Aurora 19, 5 u. ff.) »alsbald durch alles«, er »erkannte an
allen Creaturen, sowohl an Kraut und Gras, Gott, wer der sei und
wie der sei, und was sein Wille sei« und so wuchs alsbald in diesem

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 653, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-17_n0653.html)