Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 654
Text
Lichte sein Wille, »mit grossem Trieb, das Wesen Gottes zu be-
schreiben«.
In den ersten Ekstasen scheint aber der Theosoph, nach seinen
sonstigen Äusserungen zu schliessen, doch nur einzelne, kürzere Licht-
blicke gehabt zu haben.
Erst im Jahre 1610 vervollkommte sich seiner Aussage zufolge
seine innere Erleuchtung derart, dass er den Zusammenhang von
allem sah. Er fühlte dann einen inneren Antrieb, einen Drang wie
Feuer, das Geschaute niederzuschreiben. So entstand seine »Aurora
oder Morgenröthe im Aufgang«, anfangs nur als »Memorial« für den
eigenen Gebrauch verfasst, da ihm seine Gesichte manchmal wieder
entschwanden; während er sie schrieb, war er seiner selbst nicht
mächtig; es war wie ein »Platzregen«, der vorüberfährt, »was er trifft,
das trifft er«.
Carl von Ender, einer der eifrigsten Anhänger Böhmes, liess
mehrere Abschriften des genannten Werkes herstellen und eine der-
selben kam in die Hände des fanatischen Pastors, Primarius von Görlitz
Gregorius Richter, der sofort gegen den falschen Propheten auftrat und
die Obrigkeit aufforderte, gegen ihn einzuschreiten, da sonst Gott der
Herr ein Strafgericht über Görlitz ergehen lassen würde. Böhme sollte
infolge dessen aus Görlitz verbannt werden; einige duldsamere Raths-
herren nahmen sich aber seiner an, so dass er zwar (am 26. Juli)
gefangen genommen, aber nach einem Verhöre wieder freigelassen
wurde, nachdem er gelobt, seiner Schwärmerei zu entsagen, da er als
Schuster bei seinem Leisten zu bleiben habe. Sieben Jahre lang kam
Böhme diesem Befehl nach und unterliess seine Aufzeichnungen, ob-
schon er fürchtete, dass ihm die innere Erleuchtung wieder
genommen werden würde. Jedoch hatten verschiedene gelehrte und
vermögende Männer, die Herren vom Adel, Ärzte und Chemiker Ab-
schriften seiner Werke erhalten und mit Bewunderung gelesen, so dass
sie die Bekanntschaft des Verfassers suchten. Diesen gelang es,
Böhme wieder zur Niederschrift seiner theosophischen Ideen zu be-
stimmen. Es entstanden die Werke: »Von den drei Principien«
(Amsterdam 1660), »Von dem dreifältigen Leben des Menschen«
(1660), »Von der Geburt und Bezeichnung aller Wesen« (Signaturo
Rerum) (Amsterdam 1635), »Von der Gnadenwahl« (Amsterdam 1665),
»Mysterium Magnum« (ibid. 1678), »40 Fragen über die Seele« (ibid. 1648),
»Psychologie Vera« (ibid. 1663), »Von der Menschwerdung Christi« (ibid.
1660), »Der Weg zu Christo« (ibid. 1635).*) Als sein Buch »Der Weg zu
Christo« durch seine Freunde in Görlitz (1624 bei Rhambaw) heraus-
gegeben wurde, veröffentlichte sein Widersacher Richter eine wüthende
Schrift gegen ihn und veranlasste seine abermalige Verfolgung, die
seine vorübergehende Ausweisung aus Görlitz zur Folge hatte. Der
*) Böhmes zahlreiche sonstige Schriften, darunter auch seine theo-
sophischen Sendbriefe, die über seine Lebensverhältnisse und Lehren viele
interessante Aufklärungen bieten, sind in der Gesammtausgabe seiner Werke
von K. W. Schiebler (Leipzig. Ambrosius Barth. 1831—1847) gesammelt.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 654, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-17_n0654.html)