Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 655

Jakob Böhme (Thomassin, Ch. v..)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 655

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JAKOB BÖHME. 655

Magistrat weigerte sich, soine Apologie entgegenzunehmen und erklärte
ihm, dass er sich der Gefahr aussetze, von dem Kaiser als Ketzer
behandelt zu werden.

Jedoch hatte gerade das angegriffene Werk dem Theosophen
neue Freunde am kurfürstlichen Hofe in Dresden zugeführt, die er
besuchte und von denen er sehr geehrt wurde. Er wurde zu einem
Collegium mit einigen angesehenen Theologen zugelassen, von denen
einer, der Gelehrte Johann Gerhard von Jena, gesagt haben soll: »Ich
würde nicht um die ganze Welt dazu helfen, diesen Mann zu verdammen.«
Man ersuchte deshalb den Kurfürsten um Geduld und Nachsicht, bis
der Geist dieses Mannes sich etwas deutlicher ausgesprochen haben
würde. Anderseits verdammte man die Unduldsamkeit Richters und
manche meinten sogar, »der leidige böse Geist habe dem Primarius das
Pasquill dictiert«. Leider konnte sich Böhme nicht mehr lange seines
Triumphes freuen. Nachdem sein Feind im August des Jahres 1624
gestorben war — einer von dessen Söhnen wurde noch kurz zuvor
ein Anhänger des Theosophen — nahte auch ihm der Tod. Er war
auf dem Gute einer seiner Freunde in Schlesien erkrankt und verlangte
nach Görlitz zurückgebracht zu werden, wo er am 21. November,
morgens 6 Uhr, verschied, nachdem er das Sacrament begehrt und
nach Ablegung des lutherischen Glaubensbekenntnisses erhalten hatte.
Seine letzten Worte waren: »Nun fahre ich ins Paradies.«*)

Betrachten wir nach diesem Überblick über die Lebensschicksale
des Märtyrers innerer Erleuchtung das theosophische Lehrsystem,
welches er in seinen Werken entwickelte, so muss zunächst die Über-
einstimmung mit den Ideen anderer Mystiker, ja selbst des Orients, wie
der Yogaphilosophie auffallen. Dabei ist aber seine Beeinflussung
durch die alchymistische und kabbalistische Literatur seiner Zeit nicht
zu verkennen.

Böhme suchte wie die übrigen Alchymisten die Principien der grossen
Kunst als einen Theil der mystischen Naturphilosophie zur Erklärung
christlicher Glaubenssätze anzuwenden. So erläutert er, wie zu dem
Processe der rechten Wiedergeburt in Christo, eigentlich, nach
Böhmes Auffassung, zur Entfaltung des Geistes in uns die Digestion
(Aussonderung), die Fermentation (Gährung), Putrefaction (Verwesung
des alten sündigen Wesens), die Transmutation (Verwandlung) und
Sublimation (Erhöhung des in der materiellen Hülle verborgenen geistigen


*) Frankenberg schreibt über Böhmes äussere Gestalt und Charakter:
»Seine leibliche Gestalt hatte nur geringes Ansehen. Er war klein von Wuchs,
hatte eine niedrige Stirn, aber hochhervortretende Schläfe, eine etwas krumme
Nase, einen dünnen Bart, graue, ins himmelblaue spielende Augen, eine
schwachtönende, aber liebliche Stimme. Er war in Geberden züchtig, in seiner
Rede bescheiden, demüthig in seinem Wandel, geduldig im Leiden, vom Herzen
sanftmüthig. Seinen Freunden pflegte er ins Stammbuch zu schreiben:

»Wem Zeit wie Ewigkeit
Und Ewigkeit wie Zeit,
Der ist befreit
Von allem Streit.«

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 655, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-17_n0655.html)